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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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niederließ.

    »Sie sind gezwungen zu improvisieren, wenn Sie dies spielen wollen«, sagte er leise, stellte Händels Brevier vor sich hin und ließ in einer etwas dramatischen Geste seine Fingerknöchel knacken.
    Ohne zu zögern, griff er in die Tasten. Amadeo war baff. Virtuos klang das nicht, doch er war sich nicht einmal sicher, ob Styx darauf überhaupt Wert legte. Nach einer barocken Komposition hörte es sich auf jeden Fall an, schwierig zu spielen, filigran in den musikalischen Wendungen. Die Stirn des Musikers legte sich in Falten. »Würden Sie die Seiten umwenden, wenn ich nicke? - Jetzt!«
    Amadeo war eben schnell genug. Styx spielte weiter ohne abzusetzen. Er musste geahnt haben, wie die Melodie sich fortsetzte, und auch Amadeo selbst erkannte jetzt, dass es sich um Variationen ein und desselben Themas handelte. Ein Thema, das in einer Geschwindigkeit gespielt wurde, dass ihm schon vom Zuschauen die Luft wegblieb.
    »Damn!« , brach Styx endlich ab. »Haben Sie das gehört? Er hat hineingegeben demi-semiquavers am Ende. Die Hälfte einer Sechzehntelnote … wie sagen Sie in Ihrer Sprache?«
    »Zweiunddreißigstel«, murmelte Amadeo. Automatisch übersetzte er ins Deutsche anstatt in seine eigentliche Muttersprache. Sollte der Musiker ihn weiter für einen Deutschen halten, das machte jetzt auch keinen Unterschied mehr. »Wissen Sie, ob Händel oft mit Zweiunddreißigsteln gearbeitet hat?«, fragte er.
    »Surely.« Nachdenklich betrachtete der Bassist die Partitur, blätterte auf die erste Seite zurück. »Sie waren sehr neckisch im Barock und haben noch kürzere Noten genutzt teilweise. Oftmals können Sie diese Raffinesse gar nicht erfassen, wenn Sie lauschen.«
    Der Restaurator nickte verstehend. Eindeutig: Helmbrecht hatte den richtigen Riecher gehabt, während Amadeo
den Bassisten unterschätzt hatte. Selbst wenn Styx nach den Zweiunddreißigsteln der Schweiß auf der Stirn stand, war doch unübersehbar, dass sein musikalisches Wissen weit über die Beatles und die Stones zurückreichte.
    Doch im Moment machte der Bassist keine Anstalten, weiterzuspielen. Mit grüblerischer Miene betrachtete er die Partitur, blätterte zwischen den ersten beiden Seiten vor und zurück. »Sie hatten gefragt, ob mir etwas ausfällt möglicherweise?«
    Amadeo nickte. Styx sah nicht von den Noten auf. »Möglicherweise«, wiederholte er leise.
    »Und was ist es?«, fragte Amadeo angespannt.
    »Ich kann noch nicht den Finger darauf setzen«, murmelte Styx und schlug die folgenden Seiten um, wobei er ab und zu innehielt und kurze Passagen auf seiner Klaviatur griff. »Ich könnte im Irrtum sein.«
    Schließlich war der Bassist auf den letzten Seiten angekommen. Amadeo trat hinter ihn, versuchte sich die Unruhe nicht anmerken zu lassen.
    Zögerlich legte der Musiker die Finger auf die Tasten und begann zu spielen, eine längere Melodiefolge diesmal, die sich kompliziert anhörte, voller Wendungen und Spielereien, wie die Barockmusik sie liebte. Nach einigen Takten fing der Bassist leise an zu singen:
    From Bukhara to Samarkand
To where a valley doeth extend
carved in the shoulders of the mount
estranged, never to be found.
And lo! Behold that stony arc
that leadeth t’ward an ancient dark.
Thou shalleth keep this stuff disguised
until the things to come arrive.
»Spukig.« Styx brach ab, betrachtete unverwandt den Text.
    »Schon wieder Zweiunddreißigstel?«, erkundigte sich Amadeo.
    Der Musiker schüttelte langsam den Kopf. »Da war nichts, das mir vertraut erschien über die gesamte Länge des Opus. Und nun ist es wieder da.«
    »Dasselbe wie am Anfang? Ein Motiv, das sich wiederholt?«
    Styx schien ihn nicht zu hören. Unsicher streckte er die rechte Hand nach den Tasten aus, griff eine Folge von vier, fünf Tönen, machte eine kurze Pause, dann noch einmal dieselben Töne. »Kennen Sie das? - Bah … bah … Bah-babah? «
    Amadeo runzelte die Stirn. Ob er das kannte? Er … Mit einem Mal war es da. »Händels Messias!«, flüsterte er. »Sein berühmtestes Oratorium! Die Tenorarie aus dem ersten Teil! Ev’ry valley shall be exalted! «
    »Nur der Beginn«, murmelte Styx. »Nur die ersten fünf Töne. Sie können es kaum erlauschen, weil er einen anderen Akzent setzt mit dem basso continuo , aber diese fünf Töne sind identisch in beiden Kompositionen: Ev’ry va-hal-ley in seinem Messias und diese Stelle hier: where a va-hal-ley . Nicht allein der Text ist verwandt. Die Melodie ist es auch.«
    »Könnte das

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