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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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und Keule kamen wie ihre gotischen und vandalischen Ahnen: Sie waren noch immer genauso lästig. Amadeo hatte keine Chance, an den nordischen Hünen vorbeizukommen.
    Schwäbisch, stellte er nach einer Weile fest. Eine beleibte Dame, offenbar die Reiseführerin, hatte gerade selbst für ihn als Italiener erkennbar »geschwäbelt«. Das also waren die Nachfahren von Federico Secondo. Amadeo seufzte lautlos. Tempora mutantur , dachte er. Wie die Zeiten sich ändern.
    An der Porta di San Paolo, einer burgartigen Anlage in der Stadtmauer des Kaisers Aurelian, gelang es ihm endlich, die Deutschen zu überholen. Er konnte nicht nachdenken mit so vielen Stimmen um sich herum. Dazu das ständige Hupkonzert und die grellen Scheinwerferlichter - aufatmend schlug er eine der Nebenstraßen ein.
    Sofort schien es mehrere Grade kälter zu werden. In Wolken stieg sein Atem in die Abendluft, und spontan kamen ihm die Thermen des Caracalla in den Sinn, wo die antiken
Römer an kalten Tagen ihre Glieder gewärmt hatten. Gut, die Thermen lagen seit anderthalbtausend Jahren in Trümmern, aber auf jeden Fall war es eine hübsche Strecke für einen Spaziergang, und vor allem war sie garantiert touristenfrei.
    Tatsächlich hallten schon nach wenigen Metern nur noch Amadeos eigene Schritte von den Fassaden wider. Dieser Teil der Stadt hatte seit der Antike hauptsächlich als Weinberg gedient und war erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wieder besiedelt worden. Eine Wohngegend, die er sich niemals hätte leisten können, direkt am Rande des centro storico, der historischen Altstadt, und doch schön ruhig. Für den Moment hatte er diesen labyrinthischen Winkel der Ewigen Stadt für sich allein - labyrinthisch wie seine Gedanken, die wieder und wieder um das Rätsel eines Textes kreisten, der ein halbes Jahrhundert alt war oder doch mehrere Jahrtausende, ganz wie man es betrachten wollte.
    Der junge Restaurator betrachtete es mittlerweile mit Verzweiflung. Der Code musste einen bestimmten, komplizierten Rhythmus haben, eine Art unsichtbarer Signatur. Diese Signatur musste man kennen, dann war die Entschlüsselung ein Spiel - wie beim Tanzen, wenn man die Schrittfolge beherrschte.
    Zum Hall seiner eigenen Schritte hatte sich jetzt ein Echo gesellt, das um eine Winzigkeit versetzt war. Eine andere grüblerische Seele vielleicht, die sich mit ihren persönlichen Rätseln und Gedanken umtrieb und im Irrgarten der Gassen einen Weg durch das Chaos im eigenen Kopf suchte.
    Amadeo blieb einen Moment stehen, um den Fremden passieren zu lassen. Er mochte das Gefühl nicht, dass ihm jemand folgte, heute schon gar nicht, nach allem, was dieser Tag gebracht hatte.

    Der Restaurator stutzte.
    Es war nichts mehr zu hören, nur noch der gedämpfte Verkehrslärm, ein, zwei Straßenzüge entfernt auf der anderen Seite der Stadtmauer.
    Amadeo drehte sich um, spähte die Gasse hinab. Alle fünfzig Meter glomm das gelbliche Licht einer Laterne durch die Nacht, doch es reichte nicht aus, um alle Winkel des Gehwegs zu erhellen. Es war kalt an diesem Abend, aber das hieß noch nicht, dass die Luft auch klar war. Feiner Dunst lag in den Gassen, der es schwer machte, Entfernungen, Umrisse, Schatten abzuschätzen.
    Nirgendwo war ein Mensch zu entdecken. Ob sein unsichtbarer Weggefährte angekommen war, wo er hingewollt hatte? Jemand, der hier irgendwo wohnte, mit Sicherheit. Wer verlief sich schon in diese Ecke, wenn er kein festes Ziel hatte?
    Unwirsch schüttelte Amadeo den Kopf, wandte sich auf dem Absatz um und ging weiter. Er hatte mehrere Möglichkeiten, um von hier aus zu den Ruinen der Thermen zu kommen. Er konnte an der nächsten Ecke nach links abbiegen, weiter durch die Gassen, oder sich rechts halten, bis er auf die Stadtmauer stieß. Dort würden dann auch wieder mehr Menschen unterwegs sein, und es gab eine bessere Straßenbeleuchtung.
    Aber genau das hatte er doch vermeiden wollen!
    Die Schritte waren wieder da.
    Waren es dieselben Schritte? Sie bewegten sich nahezu in derselben Frequenz wie seine eigenen. Schwere Schritte, eher dumpf, soweit sich das sagen ließ, mit Sicherheit Männerschritte. In Stiefeln vielleicht? Amadeo hatte die Gabelung der Gasse fast erreicht. Er biss die Zähne zusammen. Nein, er würde sich nicht von einem Phantom in Panik versetzen lassen!

    Entschlossen wandte er sich nach links, tiefer in das Gewirr der Gassen hinein.
    Die Gehsteige waren schmal hier, begrenzt von hohen Gartenmauern, die zum Teil mit Efeu

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