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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Seiten betrachten, wie alles in der Welt.
    Amadeo blieb stehen und betrachtete kurz etwas anderes, den matt schimmernden Kies des Weges, der sich vor seinen Füßen verzweigte. Rechts? Oder links? Gleichgültig. So groß war der Park nicht, und durch das kahle Geäst der Bäume schimmerten schon die Lichter der Via Oddone.
    Ein Stück hinter ihm knirschte noch jemand anders über die kleinen Steinchen. Irgendwo in seinem Hinterstübchen war ihm klar, dass ihn diese Geräusche vor einer Viertelstunde noch in eine mittelschwere Panik gestürzt hatten, doch in diesem Moment war er einfach zu gefangen von seinen Grübeleien, um sich wegen so etwas Gedanken zu machen.
    Zahlen. Amadeo war selbst kein mathematisches Genie. Bei den Abrechnungen der officina war er bis heute auf die tätige Mithilfe seines Tischrechners angewiesen, und die Geheimnisse der doppelten Buchführung bestaunte er mit derselben ehrfürchtigen Scheu, die ein gläubiger Jude der Bundeslade entgegenbrachte. Das bedeutete allerdings noch längst nicht, dass ihm Zahlen als solche fremd waren: Die
Kulturgeschichte der großen Zivilisationen, von den Bewohnern des Zweistromlandes über die alten Griechen, Römer und Chinesen bis zu den christlichen und muslimischen Kulturen des Mittelalters, war auch eine Geschichte der geheimen Bedeutungen von Zahlen, wobei sich Amadeo mit der christlichen Symbolsprache am besten auskannte. Es gab einen fundamentalen Unterschied, ob der Chor einer Klosterkirche nun in einem sechs- oder achteckigen Abschluss gestaltet war. In einer einzigen Zahl konnte sich ein ganzes theologisches Programm verbergen.
    Jede Zahl hatte ihre Bedeutung. Die Drei stand für die Heilige Dreieinigkeit, die Sechs hingegen war eine böse, unvollkommene Zahl, was sich noch in der berüchtigten 666 der Apokalypse zeigte. Die Zehn wurde wieder positiv gesehen, schon wegen der Zehn Gebote.
    Nur wofür stand die Neununddreißig? Unschlüssig blieb Amadeo stehen. Ein Rondell. Es gab zwei Rondelle im Park, und keines von beiden befand sich auf der idealen Linie zur officina . Wenn er linksherum ging, lag er jedenfalls nicht falsch. Am Rande seines Blickfelds nahm er zwischen den Blumenrabatten undeutliche Bewegungen wahr, sah genauer hin und schüttelte im Stillen den Kopf. Nun, er war selbst einmal jung gewesen, und mit den Trieben war das so eine Sache in manchen Situationen. Aber die beiden da drüben würden sich eine Erkältung holen bei dem Wetter.
    »Neununddreißig«, sagte er eindringlich und zwang seine Gedanken zurück. Ihm war exakt eine einzige Stelle im Neuen Testament bekannt, an der die Zahl eine gewisse Rolle spielte: Im zweiten Brief des Paulus an die Korinther behauptete der Apostel, für seinen Bekennermut hätte er bereits fünf Mal jeweils neununddreißig Geißelhiebe erhalten und zudem sei er drei Mal mit Stöcken geschlagen worden. Ach ja, und gesteinigt hätte man ihn auch schon mal. Ob
diese ominöse Passage nun einen tieferen Sinn besaß oder nicht: Amadeo konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass hier der Schlüssel zu Einsteins Code verborgen lag.
    Nein, die Neununddreißig als solche kam in der Bibel faktisch nicht vor. Das aber musste nichts heißen. Im schlimmsten Fall musste man eben kombinieren. Zwölf zum Beispiel galt nicht nur wegen der zwölf Apostel als heilig, sondern auch, weil die Heilige Dreieinigkeit da gleich vierfach vorkam. Die Vier war natürlich ebenfalls heilig. Wenn er nun also die Neununddreißig …
    »Dreizehn«, murmelte Amadeo, und sein Gesicht hellte sich auf. Dort drüben erspähte er den Ausgang zur Via Oddone hin. »Dreizehn mal drei.«
    Na also! Das große Einmaleins war auch nicht schwieriger als das ABC. »ABC«, murmelte er und zählte mit, während er die Straße überquerte. »Eins, zwei, drei …« In der officina brannte kein Licht mehr, also genoss inzwischen auch Gianna ihren Feierabend. »Eins A, zwei B, drei C …« Oh, und die dreizehn …
    Amadeo erstarrte mitten auf der Straße. C, der dritte Buchstabe des Alphabets. Und der dreizehnte war … Amadeo wusste es! Er wusste es, noch bevor er die Buchstaben im Geiste durchgezählt hatte. Die Dreizehn war das M!
    Dreizehn mal drei zum Quadrat. M - Masse - mal C - Beschleunigung - zum Quadrat.
    Einsteins Relativitätstheorie!

    Amadeo fror. Ob die Temperatur draußen vor den Fenstern inzwischen unter den Gefrierpunkt gefallen war? Das machte keinen Unterschied. Als er frisch bei der officina angefangen hatte, hatten

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