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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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allein gewesen. Castel del Monte war ein Touristenmagnet, egal zu welcher Jahreszeit, und sei es nur, weil die Anlage europaweit auf der Ein-Cent-Münze prangte.
    Etwas war anders heute. Am Licht konnte es nicht liegen; der Himmel zeigte sich in jener Farbe, bei der man auf Postkartenfotos sofort von einer Nachbearbeitung ausging. Nur dass es in Puglia eben tatsächlich so aussah.
    Nein, es war nicht das Licht. Nicht allein das Licht.
    Amadeos Gefühl verstärkte sich mit jedem Schritt: Es war ein Zusammenspiel von Licht, Geruch, Geräusch - oder, in diesem Fall, der Abwesenheit von Geräuschen. Es war still, gespenstisch still. Still wie an einem Sommermorgen früh um fünf, wenn noch kein Wagen unterwegs war, kein Motorenlärm das Schweigen zerriss. Die einzigen Laute kamen von Vögeln in den Alleebäumen.
    Es war … Seit hundert Jahren ist es hier nicht mehr so still gewesen, dachte Amadeo. Vielleicht überhaupt nicht mehr,
seitdem das Kastell dort oben stand. Die Messerschmitt, ihre Verbindung zur Zivilisation, befand sich weit hinter ihnen, und es stand in den Sternen, ob sie je wieder abheben würde.
    Es war, als ob sie sich ganz langsam, Schritt für Schritt, aus ihrer eigenen Welt, der Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, in eine frühere Ebene der Zeit hineinbewegten. In die Welt des Kaisers und seiner rätselhaften Festung, seiner Alchimisten, Astrologen, Sarazenen, seiner Jagdfalken und Palasteunuchen. Eine Welt, in der das Wort eines einzigen Mannes genügte, und schon wurde einem zwecks Prüfung der Verdauung der Bauch aufgeschnitten.
    Amadeo konnte nicht exakt sagen, woran es lag, aber dies war sein allererster Besuch, bei dem er nicht voll aufgeregter Vorfreude die Schritte zählte, die Minuten, bis er das Portal mit dem grandiosen antikisierenden Portikus durchschreiten würde. Ganz im Gegenteil.
    »Ein Stückchen ist es noch«, wandte er sich an den commandante . »Die Straße führt östlich um den Hügel herum. Da zweigt dann der Fahrweg ab, in Serpentinen den Berg hoch.«
    »Ich bin kein großer Mathematiker«, erwiderte Duarte, ohne sich umzudrehen. »Aber meines Wissens ist die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten eine Gerade.«
    Sie hatten soeben den tiefsten Punkt der Senke erreicht, wo die Straße zur Kurve rund um den Burghügel ansetzte. Duarte machte einen großen Schritt. Im nächsten Augenblick war er schon halbwegs im Gebüsch verschwunden.
    Amadeo schluckte. Doch es waren Bäume, beruhigte er sich. Undenkbar, dass hier damals Bäume gestanden hatten. Drumrum ja, in der Umgebung, aber der Hügel selbst musste kahl gewesen sein - freies Sichtfeld von der Burg aus. Nein, versuchte er sich einzureden. Nein, es war ganz
und gar nicht wie im Mittelalter. Sie befanden sich nach wie vor in der Welt, die er kannte, und alles war wie immer.
    Abgesehen davon, dass diese Welt gerade in Stücke brach.
    Zwischen den Bäumen sah er den Rücken des dunkelhäutigen Mannes und - eine Schneise, einen Weg, der schnurgerade bergauf führte. Nur die unregelmäßige Wölbung des Hangs verhinderte, dass sie die Festung bereits unmittelbar vor Augen hatten, ihre vorspringenden Türme, die sich dem Besucher entgegenreckten wie die Fangarme eines Kraken.
    Maledetto , flüsterte er lautlos. Was ist mit mir los?
    Der Hang war steil. Binnen Kurzem stand Amadeo Schweiß auf der Stirn. Endlich hielt der commandante einen Moment lang inne. Vielleicht die Hälfte des Anstiegs hatten sie geschafft.
    »Hören Sie das?«, fragte Duarte leise.
    Einen Moment lang war Amadeo damit beschäftigt, zu Atem zu kommen, dann …
    Motorengeräusch.
    Für die Dauer einer Sekunde spürte der Restaurator ein Gefühl der Erleichterung. Ein Auto. Ein Verbrennungsmotor. Zivilisation! Eine Sekunde, nicht länger. Er legte den Kopf auf die Seite, lauschte. Die Bäume verfälschten das Geräusch. Die Richtung ließ sich nicht genau bestimmen, aber sie schien zu wechseln. Mal wurde das Brummen lauter, dann wieder leiser, dass es kaum zu hören war, um sich im nächsten Moment wieder zu verstärken.
    »Da fährt etwas die Serpentinen hoch«, flüsterte Amadeo.
    »Ein etwas ungewöhnlicher Termin für eine Besichtigungstour«, bemerkte der commandante . »Meinen Sie nicht?«
    Amadeos Puls schlug in seiner Kehle. »Sie denken, das ist … Das sind …«
    »Görlitz hat dieselben Unterlagen wie wir«, stellte Duarte fest. »Er hat sogar die Originale. Und auf dem cimitero
acattolico waren Sie ihm kaum eine halbe Stunde voraus. Es liegt

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