Das Beben
mehr mit diesem Mann zu tun hatte, dafür um so mehr mit mir. In meine betäubte und erstarrte Seele begann ein warmer Strahl zu fallen. Etwas schmolz in mir. Etwas Festes platzte leise auf. Und aus dieser Stachelhaut, deren Stiche ich so deutlich in meiner Brust gefühlt hatte, fiel eine Kugel, keine mahagoniglänzende Frucht, sondern eine Art Kristallkugel, einer alten Schusterkugel vergleichbar, und in dieser Kugel sah ich, von einem kosmischen Schneeflockenschwall umkreist, zunächst ganz klein, dann anwachsend ein göttliches Paar: Manon und den König, die nebeneinanderstanden und doch voneinander durch Welten getrennt schienen, die zusammengehörten und doch jeder für sich in Schönheit und Erhabenheit ausruhten. Manon war mir stets fern geblieben, nie hatte ich der allzu starken Versuchung nachgegeben, in ihrer Handlungsweise etwas Kleinliches und Berechnendes zu sehen, wenn es auch manchmal so ausgesehen haben mochte. Im letzten hatte ich doch gewußt, daß ihre Treulosigkeit eigentlich einer Ratlosigkeit entsprang. Sie war in eine Welt gesetzt, die sie nicht verstand, und sie suchte einen Ausweg. Sie suchte nach einem Wesen, das ihr gleichgeartet war, das wie sie keinen Platz in der Welt hatte, sondern aus einer größeren, strahlenderen Sphäre stammte. Wenn ich mich fragte, warum ich mich augenblicklich, vom ersten Augenblick an zu dem König von Sanchor hingezogen gefühlt hatte, dann kannte ich jetzt die Antwort: Ich hatte seine Verwandtschaft mit Manon erkannt. Was er als Mann war, war sie als Frau. Sie waren Rama und Sita, auf verschiedenen Elephanten oder in verschiedenen Autos wie auf verschiedenen Gestirnen thronend, auch in der Umarmung einander noch fern, nie vollständig vom andern überwältigt, aber zueinander gehörend wie die Riesenbäume, die sich im Tal nahe des Monsun-Palasts mit den Riesenfelsen vermählt hatten. Töricht und allwissend, in ungestörtem Traum wie Fels und Baum, würden sie nebeneinander herleben, und dies Nebeneinander bewirkte in ihnen so unendlich viel mehr Gemeinsamkeit als jedes noch so heftige Eindringen und Erforschen. Daß ich dazu beigetragen hatte, diese beiden füreinander bestimmten, diese einander entsprechenden Lebewesen zusammengebracht zu haben, das war geradezu ein Beitrag zur Reparatur der Welt. Ich empfand eine Freude, die weit über jeden Trost hinausging.
Darf ich mir selbst gegenüber noch einmal in jenes kleinlich-schlaue Psychologisieren verfallen, dem ich gegenüber Manon und dem König endgültig abgeschworen hatte? Es fiel mir möglicherweise etwas leichter, die Entwicklung der Verhältnisse als gut und wahr und schön anzunehmen, seit ich wußte, daß der Meister nun gleichermaßen vergeblich auf Manon warte. Noch vor kurzem hätte mich ein Anruf von Herrn Tofet bei Manon sehr verstimmt, aber Zeuge dieses letzten gewesen zu sein, das gab meiner Überwindung ein sicheres Fundament.
5.
Königsbeben
Ich lief zufrieden auf meiner neuen Sohle. Die dicke, neue Gummisohle bewährte sich. Fünfzig Rupien hatte der Schuhflicker gefordert. Das war vermutlich zehnmal mehr, als ihm seine übliche Kundschaft gezahlt hätte, aber ich gab ihm den Schein in hochherziger Gönnerlaune, er hatte mich beschenkt, ich durfte nun auch selber Schenker sein. Ich erkannte, daß Purhotis Haus hier in der Nähe lag, und zugleich überfiel mich auch die Gewißheit, daß meines Bleibens nicht länger sei, gleichgültig, ob ich mein Geschäft als abgeschlossen betrachtete oder nicht. Ich mußte hier verschwinden. Das Beste wäre gewesen, mein Götterpaar hätte mich mit einer duftenden Wolke umhüllt und in ihr auf einen anderen Kontinent entrückt. Erneut bedauerte ich, daß das Leben kein Film ist. Nach dem Hocken beim Schuster, der mir meinen inneren Frieden wiedergegeben hatte, hätte ich mich nach einem Filmschnitt unmittelbar zu Hause in meinem Büro wiederfinden müssen. Indessen erspart einem das Leben nicht den kleinsten Schritt. Den König wollte ich nicht mehr sehen, aber noch mehr graute mir vor den verwirrten und ablehnend verlegenen Mienen seines Bruders und der Prinzessin Karōna Devi. Aber von Purhoti wollte ich mich verabschieden. Er war mir stets mit untadeliger Sachlichkeit entgegengetreten und würde meiner Abreise ebensowenig Gewicht beimessen wie vermutlich schon meiner Ankunft. Er mochte in dem überlieferten Stil, den er wie kein anderer beherrschte, dem Hof von meiner Abreise Mitteilung machen, am besten an einem Morgen, wenn der König die
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