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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Haushaltsbücher prüfte und von Ereignissen und Verschiebungen in seinem Reich Kenntnis nahm.
    Am Eingang des Häuschens, das zwischen einer zur Straße hin offenen Druckerei mit alter, gußeiserner Druckpresse und einem Gemüsegeschäft mit Salatpyramiden lag, stand eine alte Frau in großgeblümtem Sari, die ich nach Purhoti fragte. Sie ging hinein und kam nach einer Weile zurück: Ich möge eintreten. Das war seine Ehefrau, die Mutter Sanjays, eine ernste Dame, die mein vorauseilendes Lächeln nicht erwiderte. Purhoti kam mir in dem engen, hellblau gestrichenen Gang entgegen. Er musterte mich kühl, aber nicht erstaunt, und bat seine Frau, mir einen Tee zuzubereiten – er freilich werde nichts zu sich nehmen, um sich den Appetit auf das Essen nicht zu verderben. Sein Zimmer, in das er mich führte, war kahl und bis auf ein Sopha mit braunem Kunststoffüberzug und zwei an der Wand stehenden Stühlen vollkommen leer. Wenn es richtig heiß wurde, hielt der Steinfußboden es gewiß wohltemperiert. Eine dicke hellgelbe Farbkruste lag auf den Wänden. Die Sauberkeit erinnerte an ein einfaches ländliches Krankenhaus. Tiefe Befriedigung strahlte aus Purhotis Augen.
    »Dies ist mein Zimmer«, sagte er mit geradezu feierlichem Nachdruck. Er hatte sein ganzes Leben an der Seite schwieriger Herrscher in bedenklicher Lage zugebracht. Er hatte die Auflösung des Staates von Sanchor miterlebt, und er war einer der Bürgen für dessen luftiges, mit konkret politischen Begriffen nicht faßbares Fortbestehen, und er empfand es als einen geheimen Trumpf, in Gestalt dieses Zimmers einen Ruhepunkt zu besitzen, der von keiner Veränderung berührt werden würde.
    Die Tür öffnete sich einen Spalt, zwei Kinderköpfchen lugten herein. Purhoti winkte sie zu sich und nahm die beiden etwa vier- oder fünfjährigen Knaben auf je ein Knie. Sie schwiegen und sahen ihn ehrfürchtig an. Das waren Sanjays Söhne, erfuhr ich; wie hatte ich zweifeln können, daß solch ein junger Mann aus bestem brahmanischem Haus nicht längst verheiratet war. Purhoti zeigte mir hier ein neues Gesicht. Ich war gewohnt, ihn als ersten Diener, als Vasallen von höchster Diskretion zu erleben. Hier war er selber König. Es war mir klar, daß er die neueste Entscheidung Seiner Hoheit längst kannte. Ich wußte aber auch, daß er es nicht als Lüge oder verschämten Versuch der Verschleierung begreifen würde, wenn ich darauf nun nicht zu sprechen kam, sondern im Unbestimmten, Allgemeinen blieb. Nicht daß Purhoti die Frage, mit welcher Frau sein Souverän zu leben gedachte, als unwichtig oder gar als Privatsache betrachtete. Privatsachen hatte der Herrscher von Sanchor nicht, es würde vielmehr Purhotis Aufgabe sein, die königliche Entscheidung ins staatspolitisch und familienhistorisch Verträgliche einzupassen und umzugießen. Ich hätte große Hemmungen verspürt, vor seinen Ohren den Namen Manons fallenzulassen, das wäre wie eine Entblößung gewesen.
    Die Planung für das Hotel sei von mir zu einem Punkt geführt worden, der es erlaube, sie den europäischen Investoren vorzustellen. Derweil könne man in Sanchor noch einmal in Ruhe Rates pflegen, wie weit man sich darauf einzulassen gedenke. Purhotis verschlossenes, aber heiteres Gesicht zwischen den Köpfchen seiner ehrfürchtigen Enkel, die wie die Vögelchen auf seinen Knien saßen, ließ sich durch diese Worte nicht rühren. Es müsse, wie ich gewiß verstanden hätte, die Frage des Hotels noch gründlich erwogen werden. Nicht daß ein Hotel dieser Art ein Fremdkörper sei in Sanchor – keineswegs, das habe Seine Hoheit richtig erkannt. Die Bedeutung Sanchors in der Geschichte habe immer besonders darin bestanden, ein Rastplatz der Karawanen gewesen zu sein. Im Grunde sei Sanchor als große, durch ein Fort beschützte Karawanserei entstanden. Durch Sanchor seien einst die bedeutendsten Karawanen gezogen, mit Waren von unschätzbarem Wert. Daß diese Karawanen dann später, oft für ganze Epochen, wieder ausgeblieben seien – so wie auch jetzt –, habe nichts mit Sanchor, sondern großen, bis ins Kosmische reichenden Bezügen zu tun. Man dürfe nie die erste wirkliche Existenzkrise vergessen, in die die Staaten Seiner Hoheit beim Untergang des Römischen Reiches gestürzt wurden, als dessen Osthandel zusammenbrach.
    »Wann, bitte?« fragte ich verdutzt.
    »Im fünften Jahrhundert«, sagte er mit lächelnder Zufriedenheit und fügte, als müsse er mich beruhigen, hinzu: »Nach Christus.« Man könne

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