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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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mit dem Hotel demgemäß noch ein wenig warten. Die großen Bezüge würden einst wieder in einer Ordnung stehen, in deren Mitte Sanchor lag.
    »Vieles ändert sich, aber vieles bleibt auch gleich und bekommt nur einen neuen Namen.« Was vor hundert Jahren Leibeigenschaft hieß, nenne man heute ›political contribution‹. So fern waren Vater und Sohn sich nicht. Womöglich lernte der Vater gar manches von ihm. Wer weiß, vielleicht würde Sanjay dereinst die nächste Generation auf dem Thron von Sanchor beraten.
    Die Enkel glitten von den Knien des Großvaters herab, damit er sich erheben und sich verneigen konnte. Auch ich verneigte mich. Mir war feierlich zumute. Unversehens wurde mir die schlichte Vorstellung, daß wir uns nie wiedersehen würden, zum bedeutungsschweren, ja philosophischen Augenblick, über den ich mich bei einem weiteren Treffen gern mit ihm ausgesprochen hätte. Man sieht, meine Verwirrung war beträchtlich.
    Es dämmerte bereits. Der Himmel war noch festlich blau, aber auf der Erde nahm die Kraft der Farben zu. An der Straßenecke hockte der Schuhflicker im Kreis von Frau und kleinen Kindern. Er hatte Holz gekauft von seinen Rupien, die Familie feierte um die kleinen Flammen ein Fest. Ich hatte Abschied genommen, aber meine Schritte waren langsam und unentschlossen. In tiefen Gedanken schlenderte ich durch den weißen Staub, blieb stehen, um einen Affen oder eine Kuh zu betrachten, und langte im Monsun-Palast erst an, als die Schatten schon lang waren und das Haus aus seinen buntverglasten Fensterscheiben leuchtete wie eine Kinderlaterne.
    Auf dem sandigen Platz vor dem Haus stand der Jeep des Königs unmittelbar vor der Freitreppe, als sei er eben erst angekommen oder breche in wenigen Minuten auf. Auch Sharmas Motorrad und der weiße Ambassador waren vorgefahren. Und im Halbdunkel bewegten sich viele Gestalten in weißen Kleidern und mit den mir längst bekannten großen Turbanen der Devasi, die aus einem festen roten Tuchwulst um den Kopf herumgelegt wurden. Auf den drahtigen kindlichen Körpern und schlanken Hälsen wirkten diese Turbane wie eine Last. Die Devasi-Männer hatten ein großes Feuer gemacht, um das herum sich schon viele lagerten, dicht an dicht wie ein Vogelschwarm, so daß die roten Turbane aneinanderstießen. Ihre Augen leuchteten in Erwartung. Die gegerbten, faltig-braunen Gesichter waren regungslos. Ich hatte gehört, daß eine Abordnung der Devasi erwartet werde. Die große Trockenheit zwinge den Stamm, neue Weidegründe zu suchen, die Tankwagen der Regierung reichten schon lange nicht mehr, um die Kühe zu tränken. Die Hirten sahen voraus, daß die Tiere verdursteten. Ein langer Zug nach Süden schien unausweichlich. Wollten sie den König um Urlaub bitten? Erwarteten sie Hilfe, Zugang zu Quellen, die der Regierung verschlossen waren? Wuchs auf den königlichen Weiden noch Gras? Ihre Tracht war wie eine Uniform. Es war, als ordne sich hier eine Armee, obwohl die Männer nur lange Stöcke dabeihatten. Um sie war ein Wogen, ein Spucken, ein gedämpftes Sprechen, leises Scharren, die Turbane übersetzten das Neigen und Wenden der Köpfe in eine größere, wellenartige Bewegung. Ich hielt mich abseits. Auf den Bergspitzen stand noch das Sonnengold, als antworte es auf die Funken des Feuers. Die Männer sahen mich teilnahmslos an. Sie waren mit sich beschäftigt. Ihr Zusammensein erzeugte einen Magnetismus, als seien sie Eisenspäne, die in die Ordnung um das Feuer Schulter an Schulter wie von selbst gezwungen würden. Als ich mich schließlich überwand, die Treppe hinaufzugehen, empfand ich deutlich, daß ich einen Bannkreis verließ und in einen anderen eintrat. Nie war mir so bang wie in dem Augenblick, als ich die Fliegendrahttür öffnete. Schon dies hätte mich stutzig machen müssen: daß ich sie selber öffnen mußte. Hinter dem dunklen Drahtgitter hatte, von außen unsichtbar, sonst stets ein Diener gewartet, der, kurz bevor ich oben anlangte, die Flügel von innen aufstieß.
    Und dabei war die Halle voller Menschen. Virah und Maggah standen mit starren Mienen neben den leeren Wasserkrügen. Iris lehnte auf dem Bambussopha, aber nicht so selbstbewußt und ungezwungen wie üblich, sondern als ob sie nicht zuviel Platz aufnehmen wolle. Prinz Gopalakrishnan Singh stand mit Doktor Sharma zusammen in eine geflüsterte Unterhaltung versunken.
    Prinzessin Karōna Devi trat durch das Tor. Ihre Augen hatten das Eingeschüchterte, mühsam Beherrschte verloren. Sie wirkte

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