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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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wohl das passende Wort gewesen, mich in ihre Entschlüsse einzuweihen, da ich nun schon einmal aufgewacht war – hätte ich weitergeschlafen, wäre sie wohl ohne Gruß ihrem neuen Leben entgegengegangen. Yatrinda wolle die etwas fragwürdige Lage ihrer Unterbringung hier – das Fragwürdige daran war gewiß ich – schnell beenden. Sie werde das Frauenhaus im Alten Fort beziehen, einen wundervollen Ort. Sie lebe dort unter tausend goldenen und silbernen Kugeln.
    »Nein, Manon«, rief ich, »du wirst dort eingemauert werden. Komm, laß uns schnell alles hier zusammenraffen und ein Taxi besteigen, das uns zum nächsten Flughafen bringt ...« Ich überschlug mich in Warnungen vor dem Frauenhaus. »Warum kannst du nicht wenigstens im Neuen Palast wohnen?«
    »Dort wohnt die Königin«, antwortete Manon hoheitsvoll. Morgen werde sie ihr vorgestellt.
    Aber das alles sei wahnsinnig. Sie ahne gar nicht, welche Mauern zwischen diesen Menschen und uns stünden. Da sie zu keiner Kaste gehöre, sei sie Luft für den König, nichts als Gegenstand seines Vergnügens, aber als Person, »als Mensch« ...!
    »Du hast mir immer verboten, von mir selbst ›als Mensch‹ oder ›als Frau‹ zu sprechen«, sagte sie spitz. Mit den Kasten – das stimme zwar, aber es gebe Ausnahmen. Wenn zwei derart füreinander bestimmt, geboren, geschaffen seien, wie sie und Yatindra, dann zähle das Kastenproblem nicht mehr sehr stark, habe der König ihr versichert. Einer seiner Vorfahren sei mit einer griechischen Dame verheiratet gewesen, Helena, der Tochter des Seleukos – sie sagte »Selenus«, aber ich wußte sofort, was sie meinte, und beschwor sie in dem verzweifelten Versuch, Überlegenheit und Hohn glaubwürdig darzustellen: »Das war vor zweitausenddreihundert Jahren, wenn überhaupt, diese Genealogien sind doch Wahngebilde. Aber was aus dir wird, wenn du auch nur eine Woche hierbleibst, das ist kein Wahngebilde, das wird eine überaus reale Katastrophe. Du bist verloren, wenn du dich auf diese Phantasien einläßt.«
    Virah betrat den Saal, in der Hand das tragbare Telephon aus der Halle. Ich nahm es ihm ab, bevor Manon es ergreifen konnte, ein mir fremder Mann sprach englisch mit einem südlichen Akzent und wollte »Miss Gran« sprechen. Manon entwand mir den Apparat.
    »Nein, ich komme nicht zurück, heute nicht und nächste Woche auch nicht. Nein, ich fliege nicht mit zurück, du kannst bitte alles absagen. Nein, ich bin hier nicht mehr zu sprechen. Nein, versteht bitte, ich bleibe hier, solange es mir paßt.« Sie trennte die Verbindung durch Knopfdruck mit ihrem schönen Daumen. Sie war außerordentlich geschickt mit ihren Fingern. »Das war Tofet«, sagte sie, »es kann sein, daß er noch einmal anruft. Dann kannst du ihm ja sagen, ich sei abgereist.«
    »Ja, natürlich«, antwortete ich. Maggah kam, aber Manon entschied, daß die anderen Koffer später geholt werden könnten. Sie war schon in der Tür, als sie sich umsah und eines ihrer drolligen Clownsgesichter machte. »Meinen Eltern sag erst einmal lieber gar nichts. Wir treffen sie am besten in London.«
    Wäre ich ihr nachgelaufen, wenn ich nicht im Schlafanzug gewesen wäre? Ich muß mich fragen, was ich aufgrund solcher Bedenken in meinem Leben schon alles versäumt habe. Aber sie sind stärker als ich, wie die Franzosen sagen würden. Da standen unsere beiden unangerührten Tassen als stillebenhaftes Denkmal unserer in Luft aufgelösten Liaison.
    Wie sieht das Weiterleben nach der Katastrophe aus? Man rasiert sich und zieht sich an, sucht vielleicht ein wenig zu versonnen unter den Krawatten und wählt eine besonders unauffällige, sitzt beim Strümpfeanziehen eine Spur zu lang auf dem Bett, kann sich nicht entschließen, wie gewohnt an den Schreibtisch zu gehen; dies Geschäft war ohnehin sinnlos geworden. Mein linker Schuh hatte ein kleines Loch in der Sohle, das bald ein größeres sein würde. Es gab jetzt nur eine einzige wichtige Angelegenheit auf der Welt: Diese Sohle mußte augenblicklich repariert werden. In dem Dorf unterhalb des Monsun-Palastes gab es zwar keinen einzigen Schuhmacher, der einen Wiener Maßschuh auf fachmännische Weise hätte flicken können – in meinem Metier tue ich gut daran, mit Schuhen einen gewissen Aufwand zu treiben –, aber darauf kam es jetzt nicht an. Nicht einen einzigen Tag durfte ich mehr mit diesem Loch im Schuh herumlaufen. In der Straße, wo die Schneider an ihren Nähmaschinen saßen und mit ihren schweren Schneiderscheren

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