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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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geschenkt kriegen, wenn einmal ein anderer Tag anbrach. Vorläufig konnte von diesem anderen Tag freilich die Rede nicht sein; die Fundamente des Dritten Reiches lagen in den Seelen der Deutschen besser gegründet als offenbar die der neuen Elbhochbrücke, wegen welcher es, wie Bert Boje berichtete, unter den Fachkollegenseit dem Besuch des Führers heftigen Streit gab. Die einen sagten, Senkkästen würden ausreichen, die anderen schworen darauf, daß ohne natürlichen Felsgrund eine Hängebrücke von diesem Ausmaß eine läppische Großsprecherei sei und sich als solche mit tödlicher Sicherheit erweisen werde, da man im Bett der Elbe ja in dieser ganzen Gegend Felsgrund eben nicht antreffe. Gab es in der deutschen Seele Felsgrund für ein Reich, gegründet auf Gewalt, Fälschung, Lüge und List? War durch die Machenschaften der politischen Kuhhändler in diesem Volke der Sinn für Wahrhaftigkeit und redlichen Gewinn völlig zum Teufel gegangen? Oder hatte der Zusammenbruch der Hohenzollernherrschaft und ihrer Junkermonarchie den politischen Grund und Boden wirklich so erschüttert, daß für lange Zeit nur dieses Rückgreifen auf Gewalt als das Urgestein der Menschenherrschaft über Menschen festen Grund und Boden schuf? Herr Koldewey liebte die aristokratischen Denker, die dergleichen meinten. Sie selber hatte früher Bücher ganz anderer Art gelesen, wenn auch nicht besessen. Und jetzt waren die natürlich nicht aufzutreiben. Die Schöpfer des Sozialismus, die auf gegenseitiger Hilfe und vernünftigen Verträgen, statt auf Gewalt, eine Gesellschaft zu gründen gedachten. Der Mann aber, der zuerst dem beherrschten Volke zugerufen hatte, es möge sich seinerseits der Gewalt bedienen, um eine gesündere, beglückendere und friedlichere Daseinsform zu finden, und jener erste unter seinen Schülern, der diese Anweisung zur Befreiung des sechsten Teils der Erdoberfläche von der Vorherrschaft einzelner Gruppen und Klassen angewendet und in der mühseligsten Tagesarbeit durchgesetzt hatte, diese beiden, Lenin und Karl Marx, standen ja jetzt als das leibhaftig Böse in den Geheimschränken der Bibliotheken und waren im Jahre 33 überall verbrannt worden, öffentlich, wie im geheimen. Ja, Nr. 1256 hatte Zucker, 1257 Flöckchen von Eiweiß im Urin, Nr. 58 war gesund und bei Nr. 59 zeigten sich Spuren von Sand – die Nieren mußten gespiegelt werden.
    Als sie dann den Brief von K. A. Lintze öffnete, fand sich ein Scheck mit einer Büronadel daran befestigt, hundert Mark, zahlbar in Hamburg, bei jeder Filiale der Deutschen Bank. Der Text aber rief ihr alte Tage zurück, langvergessene, die ihrem Gefühleinst unendlich teuer gewesen. Um sich selbst gegenüber offen zu sein: ohne die Zeit mit diesem Manne wäre sie wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, ihre frühere Gedankenwelt so ganz über Bord zu werfen und sich jener anderen zu überliefern, die sie für Herrn Koldeweys Überzeugungen und Weisheiten erst empfänglich machte. Sie löffelte einen Teller Irish Stew, den ihre Marie als Eintopfgericht zu bereiten verstand, und dann noch einen zweiten, las, legte den Brief neben sich, las ihn noch einmal und dachte, das ist nun Schnee vom vergangenen Jahr. Hätte Karl August diesen Scheck schon im September herübergesandt, vielleicht wäre Friedel Timmes verrückter Vorschlag nicht so automatisch durchs Sieb gefallen. Vielleicht hätte sie dann wenigstens die Gegenfrage gewagt, woher noch vierhundert Mark nehmen. Am Abend wollte der Bert kommen, er hatte einen Gelegenheitskauf an Büchern anzubieten, mehr wollte er am Telephon ihr nicht erzählen. Nun vor der Sprechstunde oder nach ihr würde sie noch ein paar Ganzsachen für ihn heraussuchen. Jetzt bei der Zigarette und dem schwarzen Kaffee war sie dem Schuldenzahler ihrerseits etwas schuldig: den Versuch, sich sein Gesicht vorzustellen, seine Stimme am inneren Ohr heraufzubeschwören. Aber siehe da, dies mißglückte. Erst sah sie seinen Bruder vor sich, den Oberstleutnant mit kleinem Bärtchen und kleinem Mund, dann aber Herrn Koldewey, das lange Gesicht, die Oberlippe, seine guten, vorgewölbten Ziegenaugen. Und statt Karl Augusts Tonfall, den sie früher doch so gut im Kopfe hatte, klang jetzt Koldeweys belegte, so überaus sympathische Stimme, wie sie sie vorher am Telephon gehört. Irgendwelche seiner Meinungen und Sprüche, die der Menschennatur so duldsam entgegenkamen, nicht aus Liebe, sondern aus Ablehnung, aus dem Bedürfnis des empfindlichen Geistes nach

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