Das Beil von Wandsbek
ein Gläubiger zu verliehenem. Jedenfalls aber hatte er sich mehrere Jahre hindurch über diese achtzig Mark nicht geäußert, bis plötzlich auf dem brasilianischen Gummimarkt dank sehr großer deutscher Bestellungen eine Hausse entstand, an welcher offenbar auch Konsularbeamte verdienen durften. Und verdienten, da sie ja das Faktum der Bestellungen und ihr Ausmaß, dank diplomatischer Geheimschrift, vor jedem Sonnenaufgang und Hahnengekräh kannten. K. A. hatte sich auch nicht lumpen lassen und das Darlehen verzinst, auf billigem und humanem Fuße, und dazu geschrieben, die freundlicheGeberin möge sich an diesen Zinsen nicht stoßen, sie verträten die Stelle eines Paketes jener beliebten bitteren Schokolade und jener gelben Teerosen, die so nur im gemäßigten deutschen Klima gezüchtet würden. Er werde sich gestatten, demnächst mit einer Gebrauchsanweisung ein paar Stücke Wurzelgeflechts zu schicken, aus welchem durch Wärme und Sonne phantastische Urwaldblumen emporsteigen würden, zauberartig und sonderbar inadäquat, wie der Klang Rilkescher Verse aus der häßlichen Schnur gedruckter Zeilen. So poetisch drückte sich Karl August aus, und Käte Neumeier lachte. Sie machte sich nichts mehr aus dem Dichter Rilke, aber sehr viel aus Zeilen, zusammengesetzt vermittels gutgeschnittener Buchstaben, Antiqua oder Fraktur, charaktervoller Drucktypen; durch Friedel Timme hatte sie gelernt, eine Walbaum von einer Fleischmann und eine Unger von einer Breitkopf zu unterscheiden. Aber sie lachte vergnügt, zündete sich eine neue Zigarette an und schlug das Buch auf, das sie unter der alltäglichen und durchschnittlichen Mitwirkung des Zufalls aus der Liste der Denkwürdigkeiten herausgefischt hatte, von Lebensbeschreibungen, in denen der Gründer der Homöopathie, Hahnemann, ebenso vertreten war wie der Schauspieler Christ, der nüchterne Herr von Brantôme wie der Schriftsteller Karl Philipp Moritz, der Opiumesser de Quincey und das Opfer des Branntweinteufels, Jack London. Aber während sie nun in den nächsten Wochen sich des dicken Buches bemächtigte und der meisterlichen Einleitung von fast siebzig Seiten, in welcher Sigmund Freud seine grundlegenden Folgerungen und Betrachtungen über das Wesen der Geisteskrankheit und dieses Geisteskranken niedergelegt hatte, ging in Käte Neumeier eine jener vorsichtig-fortschreitenden Umformungen vor, von der sich der gefangene Leser kaum Rechenschaft gibt. Das Buch enthielt den zumeist sehr freimütigen Bericht eines hohen Juristen, Mitglied des höchsten Dresdener Gerichtshofes, über seinen Zusammenstoß mit der Außenwelt bei der Erfüllung jener einmaligen Mission, die Gott der Herr ihm, und keinem anderen, auferlegte. Er war dazu auserwählt worden, die Welt zu erlösen. Dies sollte dadurch geschehen, daß er den Messias gebar und zu diesem Zweck in ein Weib verwandelt wurde, welches dem Beischlaf unterlag –so drückte er sich aus. Offenbar stand es im Willen und Können des allmächtigen Gottes, seiner Liebe zu den Menschen und somit der Auserwählung des Dr. Schreber nachzugeben, so hätte man denken müssen. Aber eine Weltverschwörung hatte sich gegen diesen Erlösungsplan erhoben, entschlossen, dem Dr. Schreber diese Auszeichnung nicht zu gönnen, ihm seine Mitwirkung vielmehr kräftig zu versalzen. Die teuflischen Mächte, welche diese Quertreibereien von Stapel ließen, gehörten vor allem der Studentenverbindung Saxonia an, deren Mitglied Dr. Schreber einst gewesen. Alle ehemaligen Saxonen saßen verteilt auf den Sternen, hatten an den Nervenenden des Dr. Schreber Fäden angebunden, an welchen sie zerrten, ihm dadurch unerträgliche Schmerzen bereitend und ihn so aus der notwendigen Sammlung und Hingabe an seine welterlösende Aufgabe ununterbrochen herausscheuchend. Stellte er sich vor den Spiegel, um hübsch geschminkt und mit Halsketten behängt seinen nackten Oberkörper zu prüfen, ob seine Verwandlung in ein Weib bereits fortschreite und ihm Brüste wüchsen, so funkten diese Saxonen dazwischen. Die bedienten sich dazu des Anstaltsarztes Dr. Flechsig, der den besorgten und eifrigen Arzt spielte, in Wirklichkeit aber in mehrere Flechsigs gespalten war, von denen der untere Flechsig eine durchaus dämonisch quälende und folternde Rolle spielte. Wie sollte Dr. Schreber bei all diesen Verschwörungen und Intrigen die Welt erlösen? Wie mit seiner bedauernswerten Gattin ein harmonisches Familienleben aufrechterhalten? Hatten es seine Angehörigen nicht
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