Das Beil von Wandsbek
sonst ohne weiteres zerschnitten hätte ...« – »Wenn man nicht vorgezogen hätte, sie in der Schweiz gegen Devisen zu verhökern.« – Jetzt sah Herr Dr. Plaut wirklich nach der Uhr. »Außerdem aber trage ich Trauer. Nach unserem jüdischen Gesetz, wie mir Herr Doktor bestätigen wird.« Und er wies auf eine Stelle seines Jackettaufschlages, wo ein Schnitt von etwa einem Zentimeter Länge die Naht zwischendem Kragen und den Patten trennte. Mit einer Rasierklinge sachkundig ausgeführt. »Kriereißen, nennen das die Frommen. Außerdem lasse ich mir den Bart stehen.« Es klopfte an die Wohnzimmertür, ein junger SA.-Mann trat herein, ein geöffnetes Buch in der Hand. »Hier sind jetzt ein paar Bücher«, sagte er höflich, »die im Verzeichnis Ihres Sohnes nicht aufgeführt waren. Werden die vielleicht Ihnen gehören, Frau Mengers?« – »Sehr liebenswürdig«, lehnte Frau Mengers ab, ihre braunen Augen, die Augen ihres Sohnes, ins Grau des Regens gerichtet, die Welt hinter den Scheiben. »Alle Bücher meines verstorbenen Sohnes tragen sein Exlibris. Zeigen Sie es nur Ihrem Scharführer, Herr Boje weiß, was das ist.« Der uniformierte Hamburger Junge grinste. »Das gekrakelte Bildchen hier auf dem Deckel, Kamerad Boje hat es mir schon erklärt. Kulturbolschewismus von einem Entarteten, der längst nach Moskau getürmt ist.« – »Richtig«, bestätigte Frau Mengers, »von Heinrich Vogeler, Worpswede.« Bert Boje kam seinem Kameraden nach, legte ihm die Hand auf die Schulter und schob ihn der Tür zu. »In ungefähr einem Dutzend Bänden fehlt das Exlibris, Frau Mengers. Sie stehen aber im Bücherschrank bei den anderen und passen zu der Abteilung ›Denkwürdigkeiten und Briefwechsel‹.« – »Vielleicht sind sie erst später geliefert worden«, versuchte Dr. Plaut einem Zwischenfall von vornherein vorzubeugen. Aber Frau Mengers, ohne die Augen von dem dickverhangenen Himmel abzuwenden, sagte: »In diesem Falle nehmen Sie sie nur mit.« – »Wir legen Wert darauf, Sie nicht zu berauben«, versetzte Bert Boje kühl, »aber Dienst ist Dienst und Befehl Befehl.« Frau Mengers nickte irgendwohin ins Zimmer. »Gut so, junger Mann. ›Das ist des Landes so der Brauch‹.« – »Brauch oder nicht, es gibt sich auch«, ergänzte Bert Boje lächelnd das Faustzitat und entfernte sich. Aus dem Nebenzimmer erschallte alsbald das Klappern einer Schreibmaschine zu den Hammerschlägen, die den letzten Kistendeckel schlossen. »Sie legen ein Verzeichnis an und händigen mir einen Durchschlag aus«, erklärte Frau Mengers. »Sehr schade, daß Sie es mit Ihrem Besuche so ungemütlich getroffen haben.« – »Dieser junge Mensch machte doch einen netteren Eindruck«, damit erhob sich Dr. Plaut, um sich zu verabschieden. »Ja«, sagte Frau Mengers,»eines von den Opfern des deutschen Idealismus. Zweiter oder dritter Reihe; aber auch sie werden drankommen, was ich noch zu erleben hoffe.« – »Sie gehen also nicht nach Palästina? Schade.« – »Nein«, meinte Frau Mengers, indes auch sie sich erhob. »Mir liegt nichts daran, in noch mehr Unruhen verwickelt zu werden. Walter war immer dagegen, noch einen Nationalismus mehr auf die Beine zu stellen und dem Baldwinschen Empire Geschenke zu machen. Tausend-Pfund-Kapitalisten.« Der junge Dr. Kley stand ebenfalls auf und zog seinen Mantel zurecht, den er im Sitzen zerdrückt hatte. »Tausend Pfund langen höchstens zu einem Kapitalistenvisum«, sagte er lächelnd, »zu nichts anderem. Auch in Palästina kann man nicht zaubern. Hätte mein Vater seine Stiftungen der Universität Jerusalem gemacht statt unserem Hamburg, so blühten mir vielleicht Chancen, dort weiter zu arbeiten. So aber ziehe ich es vor, in der Nähe zu bleiben. Die Nachbarschaft des italienischen Faschismus ... Ich gehe nach Holland.« – »Aber lieber Freund«, sagte Frau Mengers, »die Welt hat doch keine Pässe für uns. Sie ist zu klein für Emigranten, die arme Welt. Zum Glück arbeitet mein ältester Sohn bei einer Schiffahrtslinie in Queenstown, Irland. Ihr Herr Vater hatte sicher Beziehungen dorthin. Ich würde unter allen Umständen Salzwasser zwischen mich und Herrn Hitler legen, wie das englische Radio sich ausdrückt. Nette katholische Leute, die Iren.« – »Hätten Sie je gedacht, Dr. Kley, daß Sie Klerikalismus und Dreieinigkeitsglauben noch einmal als Rettung begrüßen würden?« fragte sie sanft, während sie sich mit ihren Besuchern zur Tür bewegte. »Warum nicht – seit der Atheismus bis
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