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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Einsamkeit und Freiheit. »Freiheit, die ich meine«, ging ihr’s durch den Sinn. »Die mein Herz erfüllt, komm mit deinem Scheine, süßes Engelsbild.« Die Mädchen in der Klasse hatten es ebenso schwer gehabt, den richtigen Ton zu treffen wie ihre Annette, und Lehrer Bomst mit seiner Geige hatte allerhand Ärger ausgestanden, bis der Chor klappte, dreistimmig, in welchem die Schülerin Neumeier zu den zuverlässigen Stützen der mittlerengehört hatte, des Mezzosoprans, wie man es in der Kunstsprache nannte ...
    Ja, Annette Koldewey sang wieder. Wie mancher musikalische Mensch war sie nicht Herr ihrer Kehle; zu Zeiten ihres Freundes Manfred hieß es, beim Singen detoniere Annette wie eine Bombe, wobei das Tätigkeitswort auf bewußt doppelsinnige Weise angewendet wurde. Daher sang sie selten, nicht weil es sie, sondern weil es ihre Umgebung quälte. Jetzt aber sang sie wieder, wenn sie niemanden im Nebenzimmer wußte, und zwar, wie sie Käte Neumeier anvertraute, seit der Ankunft eines anonymen Briefes, mit Schreibmaschine auf gewöhnliches Durchschlagpapier gesetzt. Die Verfasserin – Annette zweifelte nicht einen Augenblick an deren Geschlecht – warnte Fräulein Koldewey. Die Abwesenheit des Herrn Footh werde sich für sie lange hinausdehnen, da dieser Herr einem gerissenen Aas in die Klauen geraten sei und wahrscheinlich aufgeheiratet werden würde. »Hast du eine Vermutung, von wem diese freundliche Warnung stammt?« hatte Käte gefragt. Annette fand keinerlei Hinweis dafür in ihrer Bekanntschaft. Sie suchte auch keinen. »Die Nähe, ohne sich zu weigern, sie nahm auch dies als Schicksal hin«, zitierte sie einen Vers des Dichters Morgenstern. Käte Neumeier blickte ihr prüfend in die Augen, einen gewissen Bert Boje dabei im Sinn, der sie seit heute nachmittag überhaupt sehr beschäftigte. »Wenn die Dinge so liegen, wie kam dann diese Verbindung überhaupt zustande?« Die beiden Freundinnen saßen vor dem Abendbrot im Wohnzimmer neben dem hölzernen Barlach und warteten auf Herrn Koldewey, der noch zu tun hatte oder sich umzog. Annette sang als Antwort jenes Bruchstück aus der Rigoletto-Arie, das die Veränderlichkeit der Mädchenherzen feststellt oder beklagt – sehr zu Unrecht, wie Frau Käte wußte. »Wenn das überhaupt stimmt, am allerwenigsten bei dir«, entgegnete sie auf diese musikalische Replik, über gewisse Verwechslungen von c und cis höflich hinweghörend. »Mehr weiß ich selber nicht«, wehrte Annette intimeres Eindringen in ihr Seelenleben ab. Käte Neumeier nickte – Frauen wie Annette gaben selten Auskünfte über das, was sie taten, auf alle Fälle anderen, vielleicht auch sich selbst.Kultivierte Menschen im Dritten Reich balancierten auf schwierigem Untergrund; sie hatten genug zu tun, sich immer im Gleichgewicht zu halten, zumal in der Umgebung Dr. Koldeweys. Dann kam der Hausherr, man ging zu Tisch, und da Käte Neumeier für heute einen besonderen Pfeil im Köcher trug, verzichtete sie auf jede Fortsetzung dieser Forschungen; die Lösung würde sich ja eines Tages von selber einfinden.
    Nach Tische nun, während Herr Koldewey seine letzte Zigarre genoß, kam sie zur Sache. Sie hatte heute die Liste einer Bibliothek bekommen, durch eine Art Zufall in der Gestalt ihres Neffen Bert Boje, die sie Herrn Koldewey doch vorlegen wollte. Der Nachlaß nämlich jenes Häftlings Mengers, an den sich Herr Koldewey ja wohl erinnerte, enthielt Bücher, die demnächst zum Verkauf gestellt werden sollten. Eine Sammlung besonderer Art, ausgezeichnet durch ein Exlibris von Heinrich Vogeler, Worpswede, das einen befremdlichen, unheimlich vorausdeutenden Schatten warf auf das Geschick des unglücklichen Besitzers. Es stellte einen Totenschädel dar, aus dessen Augenhöhlen Blütenzweige wuchsen, knospende Ranken – einen Totenschädel, der auf einem Stoß von Büchern lag, von Folianten und dünnen Heften. Das Verzeichnis selbst nun enthielt die Märchen der Weltliteratur, sehr interessante Sammlungen folkloristischer Art aus Afrika, Briefwechsel aus der deutschen Vergangenheit, Nietzscheana und besonders Denkwürdigkeiten und Lebensbeschreibungen. »Es wäre schade«, sagte sie, »wenn diese Sammlung ausgestreut werden würde in alle Winde des Zufalls und der Käuferschaft, wie man sagen könnte. Es sind Ausgaben, die von dem Stande unseres Buchgewerbes ein ebenso gutes Zeugnis ablegen wie vom Geschmack eines unserer Buchhandlungsgehilfen, den zu köpfen wir uns leisten konnten. Nun bin ich

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