Das Beil von Wandsbek
Mengers, eine gräßliche Ausnahme«, begütigte Plaut.
»Aber: Erfahrung«, versetzte Frau Mengers scharf, und Dr. Kley unterstützte sie: »Wie Newton, als er jenen Apfel fallen sah. Doch wenn man ihn nicht zugeben will, den Fall dieses Apfels?«
»So wird man fühlen. Wenn’s zu spät ist, fürchte ich.«
»Verhüte Gott, daß Sie recht behalten in Ihrer Verbitterung«, wehrte sich Dr. Plaut. Aber der junge Kley ließ ihn im Stich, obwohl er den hilfesuchenden Blick wohl bemerkte, den sein Begleiter ihm sandte. »Mein armer Vater«, sagte er in wiegendem Tonfall, »hat mir einen Brief hinterlassen. Ballin, erklärt er darin, hatte unrecht. Sein Beispiel war schädlich, verkehrter Patriotismus. Möge es mir vergönnt sein, ein Gegenbeispiel zu geben, die Sackgasse aufzuzeigen, in die wir uns hineinbohrten. Seine Tankschiffe kriegt ein gewisser Footh, und Papa hat es nichts genutzt, daß er sich von seinem Sohne Joachim lossagte und alle Brücken zwischen ihm und uns zerschlug, als der nach Spanien ging und dort für die Regierung kämpfte. Sogar unseren Namen verbot er ihm zu führen, worauf der auf unseren einstigen Familiennamen Alkalei zurückgriff und nun für mich unfindbar wurde. Vielleicht liest er es in einer Madrider Zeitung.«
»Was für Schicksale uns bürgerliche Menschen überfallen«, seufzte Frau Mengers, die Blicke mitfühlend auf dem Verwaisten. Eine Straßenbahn brauste vor dem Fenster vorbei und unterstrich das Schweigen, die Ratlosigkeit, welche diesen Worten folgte.
»Ich wußte nicht, daß Sie schon so bald abreisen wollen, Frau Mengers«, sagte Herr Plaut, als einige Hammerschläge besonders kräftig zu ihnen herüberkamen. Frau Mengers machte ihren Mund schmal und bewegte ihre Achseln, wie bedauernd. »Ich packe noch nicht«, entgegnete sie, »ich hätte es natürlich tun sollen. Ich war gewarnt durch eine Prophetin. Weswegen Prophezeiungen jüngst ja verboten wurden. Aber wir machen nichts als Dummheiten, wie mir mein Junge immer vorgehalten. Wußten Sie übrigens, daß auch in der Republik die Angehörigen staatlich Ermordeter gezwungen waren, sich an den Mordkosten zu beteiligen?« Der junge Herr Kley hatte davon gehört. »Es ging damals durch unsere kleinen, tapferen Wochenschriften, daß Frau Eugen Leviné die Patronen bezahlen mußte, mit denen die weißen Helden nach sogenanntem Kriegsgericht in München ihren Mann erschossen. Juristen haben ihre eigenen Sitten.« – »Mein Walter hätte gesagt, Klassenjuristen.« Rabbiner Plaut rutschte, unangenehmberührt, auf seinem Stuhle. »Wer besorgt denn das da drinnen«, fragte er, »daß Sie so freimütig zu sprechen wagen?« – »Brave Leute«, entgegnete Frau Mengers. »Die SA. von unserer Straße. Haben schon soviel Bestechungen von allen Seiten empfangen, daß man vor ihnen reden kann wie vor Freunden. Bestechungen von Juden, bürgerlichen. Im Jahre 33 war mit ihnen noch nicht so zu spaßen, meinte mein Walter. Arme Teufel, nannte er sie, betrogenes Kleinbürgertum und darum echte Idealisten, die dem sogenannten Führer auf den Leim gingen – dem Blindenführer, wie er stets verbesserte.« Rabbiner Plaut unterdrückte eine Bewegung zur Westentasche, die Uhr zu zücken. Immerfort schwebte ihm auf den Lippen, die Mutter des »Verunglückten« um Erbarmen zu bitten oder sich fluchtartig zu verabschieden. Für sich selbst sah er keinerlei Gefährdung, da die Nazis sich ja in streng gesetzlichen Bahnen hielten. Aber Dr. Plaut mußte sich’s gefallen lassen, daß man ihn hinter seinem Rücken innerhalb der Gemeinde Angsthase und Bangbüchs nannte; später freilich, nach den befehligten Synagogenstürmen und Pogromen des Jahres 38, ein »prophetisches Gemüt«. – »Sie haben darauf Wert gelegt, lieber Doktor«, wandte sich Frau Mengers an den Sohn ihres durch Freitod geschiedenen Freundes, »die Leute nicht durch Trauerkleidung zu reizen, die Sie in so großem Stil bestehlen? Das ist vernünftig, wenn auch nicht heroisch.« Der junge Biologe, kahlköpfig, Anfang der dreißig, lächelte vor sich hin. »Einerseits«, dozierte er mit leicht aufgestütztem Zeigefinger, »hat Papa den Wunsch geäußert, aus seinem Fall kein Aufhebens zu machen, dafür aber den Nazis, besonders Herrn Footh, soviel von der Beute abzujagen, als durch geschickte Liquidierung nur möglich ist. So ist es mir bereits gelungen, unsere gesamte Bildergalerie zur Ausfuhr freizubekommen, über ein Dutzend entartete Ölbilder von Paula Becker-Modersohn, die man mir
Weitere Kostenlose Bücher