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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Erschrocken blickte die Freundin ihn an. »Meine Praxis bleibt doch auf alle Fälle hier, und meine Marie, die soll ich entlassen?« – »Kommt Zeit, kommt Rat«, entgegnete er leichtherzig. »An solchen Wirklichkeiten darf es nicht scheitern. Zunächst einmal fahren wir nach Glasmoor, entweder morgen oder Sonntag.« – »Morgen«, fragte sie erstaunt zurück, »mitten in der Woche?« – »Epiphanias«, erwiderte er vergnügt, »die heiligen drei Könige mit ihrem Stern. Annette trällert es schon, am Rhythmus erkennt man es sogar.« Sie lächelte, auch sie liebte dieses Gedicht und seine Vertonung.
    Allmorgendlich turnen in dem großen Schlafzimmer, das die Ostseite des Oberstockes einnimmt, drei farbige Trainingsanzüge, ein weinroter, ein schieferblauer und ein dunkelbrauner. So nennt man Kleidungsstücke aus dickem, weichem Baumwollstoff, ein langes Beinkleid und eine Bluse mit Reißverschluß, in die man leicht hineinschlüpfen kann, weil sie an den Gelenken und um den Leib von Gummibändern geschlossen werden. Eine knappe Viertelstunde genügt für diese Gymnastik, und die Erfrischung, die sie spendet, hält so ziemlich den ganzen Tag vor. Man liegt auf dem Teppich und richtet sich ohne die Hilfe der Arme ein dutzendmal auf; man bückt sich aus dem Stand mit durchgedrückten Knien, mit den Fingerspitzen auf die Zehen tippend, rollt die Arme in allen Gelenken, die Beine in der Hüfte, übt ein halbes Dutzend Kniebeugen, hebt sich ebenso oft auf die Zehen,preßt Rücken und Schultern an eine Matte, die als Wandbehang dient, hängt sich eine halbe Minute an die glatte Querstange, die über ihr angebracht ist, und läuft dann unter eine lauwarme Dusche, die sich kälter und kälter stellen läßt, bis einem der Winter jenseits der Fenster nichts mehr anhaben kann – Erkältungen ausgeschlossen. Es hat längerer Streitgespräche bedurft, bis man sich über die Reihenfolge dieses Abbrausens geeinigt hat, denn Thyra und Ingebottel müssen früh zum Dienst, indes Annette sich nur ungern mit den Resten warmen Wassers abfindet, die für die letzte übrig bleiben. Aber jetzt ist der Rhythmus längst festgelegt, und beim ersten Frühstück sitzen eben nur zwei von den Schwestern bereits stadtfertig in Kostüm oder Wollkleid, indes Annette, wenn sie den Kaffee einschenkt, noch mit dem wattierten Morgenrock bekleidet ist, den ihr, japanische Arbeit, ihr verflossener Footh einmal zum Geburtstag schenkte. Draußen scheint eine trübe Sonne, aber der Regen hat Ostwind und trockenem Frost weichen müssen. Das Geäst der Bäume umgibt durchsichtiges Eis und, steht man sehr früh auf, silbergrauer Reif. Die drei Schwestern frühstücken ihr Ei, rühren und blasen den heißen Kaffee kühler, lassen zwischen ihren gesunden Zähnen die warmen Rundstücke verschwinden und verständigen sich durch hingeworfene Sätze und Worte über Papas ulkigen Einfall, eine Art Verlobungsreise nach Glasmoor antreten zu wollen. Heute ist Dreikönig, in sehr frühen Zeiten soll es einmal sternsingende Knaben aus dem Waisenhaus auch in Hamburg gegeben haben. Während der Regentage haben Thyra und Ingebottel ihren Fuß zum erstenmal in das Kriminalmuseum gesetzt. Unter den Kuriositäten da drinnen fehlt, finden sie, offenbar das Beil, mit dem letzten Herbst Papas Dilemma gelöst wurde. Es gehört doch eigentlich hinein, und er sollte sich drum kümmern. »Wenn er übrigens denkt, daß ich ihn Sonntag fahren kann, hat er auf Sand gebaut«, lächelt Annette. »Adlerchen will nich, wie ick woll will. Ob die Zündkerzen verrußt sind oder die Benzinleitung verstopft, soll sich heute entscheiden; aber wie ich Jahnke kenne, läßt er die Gelegenheit zu einer Art Überholung nicht aus den Klauen, vor Montag bin ich nicht wieder flügge.« – »Gott«, entgegnete Thyra, »die Neumeiersche fährt sicher ebensogernmit der Eisenbahn.« Trotz dieser herzlosen Bezeichnung hat Thyra durchaus nichts Feindseliges im Sinn. In der Zeit ihrer Freundschaft mit dem jungen Dr. Kley war ihr die Ärztin allmonatlich eine treue Schutzgöttin gegen unerwünschte Empfängnis gewesen. In den zwei Jahren, die Thyra jetzt als Nonne lebte, war Frau Neumeier ihr nicht ferner gerückt. Also blieb ihr Käte Neumeier als Hausgenossin durchaus willkommen, und selbst Ingebottel, diese »kesse Schnauze«, hat Vaters Verlobung nach der ersten Überraschung recht freundlich aufgenommen. Ihr Freund Riechow wird auf Urlaub nach Wien geschickt, wohin eine ganze Anzahl jüngerer Funktionäre

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