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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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unterwegs sind, außerdem aber auch Herr von Papen, der Ritzenschieber, wie sie ihn nennen, weil er Sprünge im Mauerwerk auskundschaftet, in die der Führer sein geniales Brecheisen setzt. Manches bereitet sich vor, auch in Spanien, das Frühjahr dürfte Überraschungen bringen. Annette hört schweigend zu; der junge Bert Boje, zieht’s ihr durch den Sinn, wird hoffentlich hier bleiben und ihr, wie er versprach, gewisse Räume der Kunsthalle erklären, in die sie sich noch nie verirrt hat, und in denen Bilder des Philipp Otto Runge hängen, auf den die Hamburger Kunstfreunde so stolz sind. Daß ein erwachsener Junge für solch einen Romantiker richtig schwärmt, ist eigentlich nett – ein bißchen komisch, aber es steht ihm. Und da Vater mit Käte allabendlich in ihren Schmökern stecken, kann sie ihn ja mal heraufbitten und die Bilderbücher anschauen, die er aus Münchener Verlagen von seinen Lieblingsmalern besitzt. Die Farben fehlen zwar, sagt er, aber sonst hat die Kunst der Wiedergabe große Fortschritte gemacht und läßt einen manches lernen. Richtig, sie verwahrt in ihrer Tasche doch noch ein Kuvert für den Vater – einen Brief von Käte Neumeier nach Buenos Aires, den er vorher zur Kenntnis nehmen soll, damit sie, Annette, ihm dann auf dem Fuhlsbütteler Luftpostamt einschreiben lassen kann. Morgen trägt der Zeppelin Flugpost über den Südatlantik; unser Dienst nach Latein-Amerika wird von ganz Europa gesucht und benutzt.
    »Morgen«, sagten die Mädels und gehen. Auch Annette läßt den Frühstückstisch stehen und schlendert in ihr Schlafzimmer, um sich anzukleiden. Dank der treuen Zentralheizung, o Segender Technik, wartet das ganze Haus, die Treppen eingeschlossen, mit angenehm durchwärmter Frühluft auf. Einen abendlichen Zigarrenraucher wie Papa darf man des Morgens nicht merken. Und während sie sich im Spiegel besah, wohlgefällig, wie sie sich zugab, und Tageskleidung anlegte, wunderte sie sich über den Reichtum Hamburgs an künstlerischen Kräften, von denen sie nichts gewußt: auch der Maler Wasmann war hier geboren, und der sollte doch, nach Herrn Boje, für die deutsche Malerei des neunzehnten Jahrhunderts wirklich was darstellen. Hatte freilich in Südtirol gelebt und war sogar katholisch geworden. Ja, durch Hans Footh erfuhr man derartiges kaum, mochte er mit seinem Fräulein Blüthe glücklich werden, der Äuglein-Mann. Wie er bloß darauf gekommen war, für seine Schiffe so hübsche Namen zu finden. Nun, auch an ihm war manches drangewesen, sonst hätte man es ja auch nicht so lange mit ihm getrieben, anderthalb Jahre gut und gern, und jetzt dieser drollige Boje. Was er für eine rare Prophezeiung mitgebracht von seiner Frau Mengers. Mußte sie doch Papa versetzen. Die ulkigsten Vögel flogen einem ins Haus und wieder hinaus. Ach ja, der Brief der neuen Mutter. Seit im Mai 33 eine gutaussehende Frau Rechtsanwalt David mit ihrem Gatten nach England ausgewandert war, gekränkt durch den komischen Boykottbetrieb am 1. April, hatte Papa einsiedlerisch gelebt, soweit eine Tochter das beurteilen konnte. In seinen Jahren ganz natürlich. Aber wollte er jetzt heiraten: herzlichen Glückwunsch, Herr Koldewey, es hätte schlimmer kommen können.
    Herr Koldewey sog bedächtig an seiner Unterlippe, indes er neben seiner Frühstückstasse den Brief studierte, in welchem Käte Neumeier ihren einstigen Verlobten bat, ihr, wenn er ihr die Wurzelgeflechte der Urwaldlianen sandte, ein bißchen Curare mitzusenden, genug, um damit zu experimentieren. Eine ihrer Wendungen sagte ihm nicht zu, man konnte sich nicht harmlos genug ausdrücken, wenn man derartiges schwarz auf weiß aus der Hand ließ. Das Dritte Reich war mißtrauisch und besaß einen Wachtdienst, der die berühmtesten Vorbilder mit deutscher Gründlichkeit hinter sich ließ. Nun konnte ja wohl für einen Brief an das Deutsche Konsulat in Buenos Aires kaum ein unverdächtigerer Absender gefunden werden als die Leitung der Strafanstalt Fuhlsbüttelund eine einwandfreie Parteiärztin, deren Briefwechsel mit dem gleichfalls wohlbeleumundeten Konsularbeamten unbeanstandet schon Jahre lief, falls eine Überwachungsstelle ihn sich einmal beschnupperte. Aber niemals war aller Tage Abend. Die Zeiten produzierten immer neues Glatteis – wie es heute die Parkwege umzog – jeder Mensch konnte immerfort stürzen. Außerdem aber gab sich Herr Koldewey zu, daß er von Natur ein Zauderer war, Entscheidungen gern verschob, plötzlichen Entschlüssen aus

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