Das Beil von Wandsbek
entscheiden. Erwägen Sie ihn, denken Sie ihn durch, gehen Sie mit sich zu Rate.«
Käte Neumeier saß da, die Hände auf ihren Knien, die Augen hin- und herbewegend zwischen diesem Mann, dem Zimmer, der Landschaft von Caspar David Friedrich, der großen Holzplastik des in den Tod getriebenen Barlach. War es nicht wirklich absurd, daß sie hier nicht zu Hause sein sollte? Das Kommende mit diesem Manne zu teilen, lag darin nicht Sinn und Verstand? Da man es ohnehin in der gleichen Stadt erleben würde, der gleichen Umwelt, mit den gleichen Menschen. Sie mußte lächeln, eine unleugbare Wärme vom Herzen her erhellte ihr Gemüt. Es war schön, trotz allem schön, von einem solchen Manne in einer solchen Stimmung ... »Und an Annette denken Sie nicht und an Ihre beiden anderen Mädel?« Er ließ seine Augen auf ihr ruhen: »Thyra und Ingebottel, ja, da wären Schwierigkeiten nicht ausgeschlossen. Man überwände sie. Annette, glaube ich, wäre ganz vergnügt – in ihrer neuen Phase. Es brauchte ja nicht alles glatt zu gehen, wir sind ja lebende Wesen, rund, nicht bloß Profil, wie auf ägyptischen Wandzeichnungen. Doch wenn Sie einverstanden wären – ich würd’s schon durchfechten. Ohnehin seh ich genug Schwierigkeiten am Horizont. Nehmen Sie beispielsweise das Beil. Offenbar erwartet Herr Lintze, ich könnte es uns liefern, falls wir es brauchen. Davon ist aber keine Rede – ohne Herrn Footh ins Geheimnis zu ziehen. Und das wollen wir doch nicht.« – »Das Beil«, wiederholte Käte Neumeier, eine neue Zigaretteentzündend, »das Beil, das könnte ich liefern. Es wohnt in Wandsbek, lieber Freund, kaum zehn Minuten von mir weg. In der Luftlinie, oder mit Annettes Wagen.«
»Sehen Sie, wie uns das Schicksal zusammenschmiedet? Das Wissen, das mir abgeht, haben Sie. Es wäre hübsch, wenn Sie sich heut entschlössen.« – »Zuviel verlangt«, entgegnete Käte Neumeier bestimmt. »Heiraten ist gut, aber es will überlegt sein. Seh ich denn aus wie eine Braut?« – »Alte Käte«, sagte Koldewey halblaut, nahm ihre Hand und küßte sie. »Es sollen ja schon Verlöbnisse zurückgegangen sein.« – »In guten Familien kaum«, lächelte Käte, »da überlegt man sich’s, bevor man’s wagt.« – »Aber man wagt’s«, beharrte Herr Koldewey, stand auf, ging um den Tisch und nahm Frau Dr. Neumeier an beiden Schultern. ›Ward je in solcher Laun’ ein Weib gefreit?‹ klang während dieser Schritte ein Shakespearescher Vers aus einem anderen Stück durch sein Gemüt. Er stammte von Richard III., dem buckligen Ungeheuer, und gehörte in keiner Weise hierher; ja, Heinrich Koldewey mußte über sich lächeln, als er mit diesen Rhythmen im Herzen der Frau in die Augen blickte, die ihm in diesen Wochen unentbehrlich geworden war. In diese braunen, klugen und guten Augen. »Menschenskind«, rief sie, »und was wird Annette sagen, wenn sie uns hier als Brautpaar wiederfindet?« – »Philemon und Baucis«, lachte Koldewey, »alte Kameraden.« Und dann zog er sie an sich, hob ihr Kinn mit seiner langen Hand und küßte sie. Welch eine ungewohnte Berührung, dachte er glücklich.
Fünftes Kapitel
Solo Aequare
Es ist üblich, daß sich Verlobte früh anrufen, dachte Käte Neumeier, nicht ohne Spott gegen sich selbst, als das Telephon nach acht Uhr morgens klingelte. Natürlich war es Herr Koldewey. Aber keineswegs ohne sachlichen Grund rief er sie an, sondern nur um ihr seine tiefe Freude über das Experiment auszudrücken, das sie möglicherweise vorhatten. »Gestern wurde etwas vergessen«, sagte er. »Eigentlich wird es schon einige Tage vergessen.Ihr Dr. Schreber darf sich rühmen, einen hanseatischen Beamten einigermaßen aus dem Konzept gebracht zu haben. Sie interessierte doch der schriftliche Nachlaß des verstorbenen Mengers, Käte, oder ist das inzwischen verdunstet, da die Ausblicke soviel weitläufiger wurden?« Käte Neumeier erschrak. Sie hatte das Vorhandensein Mengersscher Niederschriften wirklich vergessen. So sind wir, klagte sie sich an. Wir nehmen das Gute und vergessen den Geber. »Die Akten sollen zusammen- und abgelegt werden«, fuhr Herr Koldewey fort, »sie sind Eigentum des zuständigen Gerichts, und ich muß sie herausrücken, ohne sie Ihnen gezeigt zu haben, wie ich fürchte. Falls Ihnen aber etwas daran liegt, Käte, lasse ich sie heute morgen noch schnell kopieren. Eine meiner Töchter wird sich schon an die Schreibmaschine schwingen.«
Käte Neumeier, noch gar nicht richtig wach oder von
Weitere Kostenlose Bücher