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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Nebenbei horchte er gutgelaunt auf das Fahrgeräusch des D-Zuges, dieses regelmäßig rhythmische Betonen der Beförderung, das den gesunden Unterbau und guten Stand der Strecke unterstrich. Während des Weltkrieges hatten die Züge nach der Meinung der Soldaten rhythmisch geschimpft: Du verfluchter Bahninspektor, du verfluchter Bahninspektor. Jetzt sagten sie, so hatte sein Neffe Manfred lachend erzählt: Heil, geliebter Volksgenosse. Dann verscheuchte er den Gedanken an seinen gefallenen Neffen und die ganze spanische Generalprobe, wie Herr Lintze es vor ein paar Tagen taufte, dieses asturische oder baskische Manöver mit seinen Kämpfen bei Teruel und dem unvermeidlichen Ende, das sich in Katalonien abspielen würde, dem Sieg des Generals Franco und seiner Verbündeten über die Sowjetunion und den Geist der Demokratie, den sie dahinten unterstützten. »Vieles, Käte«, sagte er, »von ihren wundersamen Gaben wird die Statistik aufs rechte Maß zurückschrauben, indem sie nämlich untersucht, wie oft ihre Propheten, Sibyllen und Medien richtig unken und wie oft falsch. Dann werden Sie sehen, daß die Zahl der Nieten die der Treffer aufs unverhältnismäßigste überwiegt. Nun geh’ ich nicht so weit wie jener Philosoph, der behauptete, wenn ein Schwein genügend lange, nämlich unendlich lange in einem Buchstabenhaufen wühlte, müßte es vor dem Ende der Tage auch Shakespeares Sonette oder den ganzen Faust herausbringen. Infolgedessen muß auch, könnte man sagen, bei den Millionen Voraussagungen, welche sich die Menschen täglich machen lassen, diese oder jene eintreffen – und dann spricht sich dieser Zufall bei Tanten und Gevattern herum und baut einer solchen Kaffeesatzschwester in der Reimerstwiete Triumphpforten. Nein, Kateken, mit zukünftiger Naturwissenschaft sind wir nicht abzuspeisen. Der Glaube an Wahrsagungen, Hellsehen und zweites Gesicht zeigt einfach das Fortbestehen ältester Religionen neben fortgeschritteneren, so wie wir den Blinddarm noch im Leibe tragen, der ja neuerdings wieder einmalwichtige Funktionen verrichten soll, der inneren Sekretion. Na schön. Darum habe ich mir meinen doch herausschneiden lassen und fühle mich nicht eingetrockneter als vorher.« Und er blickte seine zukünftige Frau mit so spitzbübischem Ausdruck an, daß sie ihn mit den Handschuhen fröhlich aufs Knie schlug, denn sie saßen einander gegenüber. Er fing die flache Fliegenklatsche aus braunem Leder mit seinen Händen, nahm sie ihr weg, zog sie zärtlich durch seine Finger und beschloß diesen Teil des Streitgespräches, indem er nachdenklich zum Fenster hinüberblickte. »So einfach, wie gesagt, mach ich mir’s nicht. An manchen Wahrsagereien ist was dran, besonders wenn sie sich auf Völkerschicksal und Regenten beziehen. Gewisse Vierzeiler des Nostradamus machen einen wirklich staunen, da sie ja Jahrhunderte im Druck vorlagen, bevor sie in Erfüllung gingen, wortwörtlich und mit den albernsten Nebenumständen. Aber diese Frau Mengers mit ihrer Reimerstwiete, die ärgert mich. ›Solo aequare‹, nannten es die Römer, dem Erdboden gleichmachen. Es war eine reine Kriegsmaßregel, scheint mir, und beraubte den Feind aller Hilfsquellen des Landes, wozu in jenen Mittelmeergebieten auch der Schatten der Bäume gehört. Daher ihre gründlichen Abholzungen, wenn ihr Feldherr diese Parole ausgab. Und darum stellt dies Wort im Mengersschen Falle einen solchen Quatsch dar, Rachephantasie von enterbten Weimarern und Israeliten, wie ich vorhin mir zu bemerken erlaubte. Setzte ja einen Krieg voraus, der sich in Deutschland abspielte und in dem unsere Heere so geschlagen wurden ... nein, wahrhaftig! Jetzt versteh’ ich, wie recht es war, diesen Unfug zu verbieten. Auch der Quatsch und Tratsch hat seine Grenzen. Und nun wenden wir uns unserem Jungvolk wieder zu und bitten um Entschuldigung.« Aber Annette und Bert Boje auf ihren Plätzen nächst dem Gange unterhielten sich auf ihre eigene Weise, die Schornsteine zählend, an denen der Zug vorüberfuhr. Sie würden überhaupt nicht dazukommen, die Mole zu betreten, behauptete Annette, man hätte besser getan, vor der Abfahrt die Berichte der Seewarte zu studieren; hier draußen gab es heute offenbar Windstärken, von denen man im Städtchen kaum was ahnte. »Hätten beim Flugplatz anrufen sollen«, meinte Herr Koldewey reumütig, »und du, Prophetin,hast auch nicht daran gedacht.« – »Als ob Kinder nur dazu da wären, für Papa die Vorsehung zu spielen«, wehrte

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