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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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jedem Gebildeten ganze Zonen höchst bemerkenswerter Geisterreiche, von welchen man sich freilich nicht durch den törichten Rassendünkel zufällig mit weißen Häuten geborener Kleinbürger wegscheuchen lassen durfte. Aus dem Nebenzimmer duftete ein großer, weißer Rosenstrauß, edelste Treibhauserzeugnisse, im Auftrage des Herrn Oberstleutnant Lintze »Entschuldigung für Glasmoor«, im Verlaufe des Vormittags abgegeben. Vom Radio her, zwei Räume weg, hatte seine Thyra, die dunkelblonde, reizvoll schlanke, das zweite Klavierkonzert von Brahms aus New York erwischt, von einem emigrierten Pianisten und einem köstlich geleiteten Orchester so gut gespielt, wie man es in Deutschland leider nicht zu hören bekam – vorläufig, meine Herren. Ja, Thyra, wie sie dort in ihrem dicken, flauschwarmen Abendkleid aus braunrotem Sammet kauerte, den weiten und langen Biedermeierrock auf dem Fußboden ausgebreitet und die Zigarettenspitze zwischen ihren festen, kleinen Zähnen, diese Thyra lebte auf ihre stille Weise im Widerspruch zu dem Regime, das ihr den Jugendfreund genommen hatte, jenen begabten Wilhelm Kley, von dem Koldeweys seit dem etwas affektierten Freitod seines Vaters und schon länger kaum mehr hörten. So hielt sie sich an die Astrologie, deren Ausübung das Dritte Reich ebenfalls verbot, und so liebte und suchte sie auf den Wellenskalen der im alten Trott zurückgebliebenen westlichen oder slawischen Welt nach Künstlern und Darbietungen, welche die Reichskulturkammer untersagte. Je, min Döchting, dachte Herr Koldewey, während ihn die bernsteinfarbenen, zauberhaft durchleuchtetenEinsätze dieser zwischen Flügel und Orchester aufgeteilten Symphonie durchpulsten, aufhorchen machten – ja, meine Tochter, du hast ganz recht, deinen dunkeläugigen Kopf auf deinem hübschen Hälschen für dich zu behalten und zuhaus denkend und tuend deine eigene Linie weiterzusteuern – nach Möglichkeit selbstverständlich, ohne Aufhebens und Aufsehens davon zu machen. Wir Koldeweys greifen ja nicht zu Revolutionen, wenn uns eine Sache nicht paßt; wir halten still und warten ab und wissen, daß wir am Ende recht behalten, und daß es sich für uns nicht gehört, gegen den Stachel zu löken. Eine unappetitliche Redensart und Beschäftigung. So, auf stille Weise nicht mitmachend, haben wir die Weimarer Republik überdauert, in der auch eine Partei regierte, welche Sätze wie: Das Sein bestimmt das Bewußtsein, zu ihren Thesen zählte. Als ob die Autonomie des Geistes nicht zu den köstlichsten Erkenntnissen und Errungenschaften der Europäer rechnete! Und als ob das Höhere im Menschen nicht gefährdet genug über seinen Tiefen tanzte und schwebte, um noch die Schlammfontänen auszuhalten, mit denen der Materialismus und Herr Karl Marx es zu bespritzen suchten. Für die Ausrottung solcher Denkgefahren zahlt jeder Vernünftige einen Preis. Zum Beispiel den Verzicht auf gewisse Vollkommenheiten des Klingens, Singens und der aufgewühlten Seele. Und was sich unsereiner in seinen vier Pfählen von altem Kulturgut bewahrt, geht ja diejenigen nichts an, die auf der Straße und in den Vorhöfen der öffentlichen Meinung nach dem Rechten zu sehen haben. Mensch, Johannes, wie dir das hier gelungen ist, wo du doch bloß ein kleiner Junge warst, und drüben, drunten, in den Hafenkneipen Musik machtest ... Ja, eigentlich sollte ich mich besinnlicher halten, in mich selbst verloren und über mir selbst schwebend, so wie du hier. Ist es denn recht, daß ich wieder eine Frau nehme? Diese reizende, brünette Käte, die mit so viel Tatendrang geladen ist? Bin ich nicht ein Narr, Handlungen in Bewegung zu setzen, um nicht zu sagen Verschwörungen, damit der Mann, den wohlbekannte Mächte an die Spitze des Reiches geschoben haben, daran verhindert werde, es in den Abgrund zu segeln? Und wenn ich auch nur besorgten Patrioten nach Art des dankbaren Herrn Lintze kleine Anstöße gebe, Informationen,wie man das heute nennt, gedankliche Hebel und Zahnräder der Beweiskraft, die man diesem Herrn Freud und seiner Untersuchung über den wahnsinnigen Herrn Schreber verdankt: ist es nicht zuviel? Unkoldeweyisch, unhamburgisch, unkonservativ am Ende? Nun, ein gewisser Edmund Burke hat sich heftig gegen Geist und Handlungen der französischen Revolution gewandt und sie schließlich besiegt – als Konservativer, im Namen und Rahmen der bestehenden Zustände und ihrer Vernünftigkeit. Tue ich mehr? Sicher nicht; ich tue weniger. Er trat auf und redete,

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