Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
Vom Netzwerk:
stürzte Minister und hielt Kabinette. Ich, mein Gott, sitze in meinem gläsernen Käfig, wie der arme Manfred es nannte, übersehe manches und vieles, das in den Tiefen geschieht, beobachte und registriere die Taten und Unterlassungen der mittleren Regionen und lasse mich im ganzen treiben, wie unser Reich, wie Europa, wie dieser drollige Planet Erde, der ununterbrochen durch die drei Dimensionen des Raums und jene vierte hinkugelt, die wir der Forscherkraft des Herrn Einstein verdanken, und die wir früher Zeit nannten. Nun, warte ein Weilchen, und auch dieser neue Besen wird sich durchaus und gut eingespielt in die Ecke verweisen lassen. Aber wie unser Brahms auf solche Schwermut verfallen konnte, auf dieses Glück der Melancholie im Herbstglanze des Wörthersees. Soll ich nicht versuchen, mich aus dem Kram politischer Einmischung wieder zurückzuziehen? Soll ich nicht den Zustand Käte Neumeier unverändert beibehalten und meiner armen Käte Koldewey der ersten keine Nachfolgerin geben? Wahr, daß Friedrich der Einzige uns unermüdlich zur Tat anspornt, uns Geistige und Durchschauer. Aber was hat er seinerseits getan? Ist er zum Wettkampf angetreten, anders als auf dem Gebiete des bedruckten Papiers? Hat er sich von Turin aus nicht in den Wahnsinn geflüchtet? In die Märchenblumen seiner Zarathustrawelten, in die Schluchten und Gewölbe überirdischer Lilien und Glockenblumen?
    Hier mochte Herr Koldewey, das sagte er sich später, eingeschlummert sein, fast drei Sätze eines seiner Lieblingswerke verschlafend. Der Frobenius stand auf seinen Buchdeckeln, halb aufgeblättert, als er wieder erwachte, die kalte Zigarre roch unangenehm durch die Rosen, aus den Nebenzimmern verlautetenichts mehr, oder noch nichts, Annette war offenbar noch nicht daheim. Diese Müdigkeit mußte von dem Ausflug herrühren, einen Traum erzeugend, dem es sich lohnte nachzusinnen. Geschlossenen Auges verharrte Herr Koldewey, humoristisch mit sich kämpfend, ob es fair sei, diese herabgebrannte Zigarre noch einmal anzuzünden. Notfalls brachte man sie in einer Spitze unter, halb Weichselkirsche, halb rötlicher Bernstein, entzündete sogar die kristallene Rauchverzehrungslampe mit dem papierdünnen Platinbrenner. Selbst den Radioapparat hatte man in seinem Traum verwandt und verwandelt. Thyra, die Taktvolle, hatte sich offenbar verdrückt. Man legte wenig Wert auf Träume. Diesen Teil der antiken Zivilisation wieder lebendig zu machen und selbst Geldwerte daraus zu ziehen, überließ man am besten Herrn Freud und seinem Gefolge von Psychagogen und Therapeuten, unter denen es ja ebenso viele Schulen und Streitigkeiten geben sollte wie in irgendeinem Alexandria oder Athen. Und daß er seinen schmuckhaft dastehenden Blaupunktapparat mit der Fähigkeit ausgerüstet hatte, auch vergangene Zeiten zurückzuholen und längst tote Leute spielen zu lassen, machte ihn lächeln. Aber so hatte er geträumt. Dirigent: Robert Schumann, stand auf dem Theaterzettel, den er in der Hand gehalten; Solistin: Frau Klara Schumann-Wieck, indessen er den Komponisten Herrn Brahms in der Loge sitzen sah und den Kopf in die Hände pressen, die Finger eingewühlt in die lange, graue Künstlermähne, während sich sein Vollbart fächerförmig auf dem steifen, vorgewölbten Frackhemd ausbreitete. Man sieht das alles, die Vorstellung findet im Hamburger Stadttheater statt. Solch ein Apparat nun heißt Television, und wer da zuschauen und hören will, bleibt aufs bequemste daheim. Den Konzertraum vertritt eine Art Opernbühne, die Dekorationen stellen eine große, schwarze Rose dar – das geschwärzte Mauerwerk wie nach einem großen Brand. Dies aber sind lauter duftende Wände, samten und riesengroß eine Runde hinter der anderen, eine die andere überwölbend; zu dem Verse passend, der in großen Lettern, gotisch spitz geschnittenen, auf einem weißen Spruchband quer über das ganze Bild gespannt hängt: »Rosenduft hat sie getötet.« Und Herr Koldewey wird von einem gewissen Mengers durch diese Galerien geleitet – wie dereinst, als er sich inder Zeit seiner Freundschaft mit einer sehr reizvollen Schauspielerin hinter der Bühne und in den Garderoben daheim fühlte.
    Und während er jetzt, der Reale, der leibhaft Wachende, sich aufrafft, sein Schlafzimmer aufsucht, Nachttoilette macht, sich aus- und umzieht, holt er den Traum in seiner vollen Deutlichkeit wieder in den Vordergrund des Geistes und der Besinnung. Eine schwarze Rose, ja, und Herr Mengers, der Führer.

Weitere Kostenlose Bücher