Das Beil von Wandsbek
Lehmkes »Bravem Panzer« saß, wo es immer noch leicht nach Beize roch, aber schmuck aussah und doch schon wieder heimlich. Durch ihn verstand Albert, daß die österreichischen Faschisten Knechte zugleich der Kirche und des Kapitals waren, die nur dank des Schutzes gelebt hatten, den der große italienische Bruder ihnen gewährt, dank den Intrigen von Demokraten und Juden. Als sie 1934 die Marxisten niederwarfen, hielten sie sich wohl für Sieger, die Herren Dollfuß und Schuschnigg; aber sie waren nur die Schneefeger, die vor dem Eintritt der eigentlichen Hausherren die Stufen sauber machen müssen. Wenn der Herr von Schuschnigg, wie er drohte, eine Volksabstimmung wagteoder fälschte, so brach der Zorn der Deutschstämmigen los, dann krachten die Kanonen, fuhren die Tanks, regneten die Bomben auf die Wiener Fabrikvorstädte. Da Adolf Hitler aber ein Friedenskanzler war, der von England und Frankreich nicht ohne Verständnis beurteilt wurde, und da der große Mussolini sich bei seinem Besuche im Vorjahr mit dem mächtigen deutschen Reiche so gut verstanden hatte, konnte kein österreichischer Adliger so verrottet sein, dem eigenen Prestige zuwider Bruderblut zu vergießen. Kamerad Teetjen versäumte also nichts, wenn er in Hamburg blieb und weiter mit der Wünschelrute trainierte, im Gegenteil. Nach der Heimkehr Österreichs stand nur noch Sudetenland und Danzig auf dem Programm, aber da konnte man schon möglicherweise geübte Wünschelrutengänger brauchen ...
Albert ging in den Dämmerstunden dieser Februartage mit seiner Gerte durch den Wandsbeker Park. Sie zuckte an manchen Stellen, an einigen bog sie sich tief herab. Seine Empfindlichkeit wuchs. Wußte Gott, was alles unterhalb dieser Rasenflächen lag und vor sich ging, die jetzt von vereistem Schnee krachten. Der Vereinsvorsitzende hatte ihm dargelegt, wie leicht offenbar unterirdische Wasserläufe ihre Richtungen wechselten und sich neue Wege suchten. Daß aber auch vergrabene Menschen, Leichen oder Skelette radioaktive Strahlen aussandten, auf die der Rutengänger reagierte – nicht jeder, aber mancher begabte, zu denen er auch Herrn Teetjen rechnete. Wie oft war nicht berichtet worden, daß empfindliche Menschen auch ohne Werkzeug Orte angegeben hatten, über welchen ein Geheimnis waltete; wie oft waren nicht Pferde vor Plätzen gescheut, an welchen Opfer von Verbrechern verscharrt worden waren? Die Abergläubischen der früheren Zeit hatten dergleichen mit dem Fortleben nach dem Tode, mit Seelenglauben zusammengebracht; heute wußten wir, daß es Strahlungen waren, über deren Natur noch vieles erforscht werden mußte, bevor wir uns zu Herren auch der unsichtbaren Welt aufwerfen konnten, der Welt der Strahlen und Schwingungen nämlich, die nichts zu tun hatte mit Lohn und Strafe. Schritt Albert so unter den Bäumen aus, bald ein Zucken in den Fäusten spürend, bald den deutlichen Ausschlag seiner Gerte, so dachte er, daß seine Stine doch kein solches Schäfchen sei, wie er geglaubt,daß sie vielmehr nur auf altväterische oder großmütterliche Weise die Dinge ausdrückte, mit denen er jetzt zu tun bekam. Es wäre natürlich unangenehm gewesen, mit solcher Rute über den Ohlsdorfer Friedhof zu gehen und womöglich auf gewisse frischvergrabene, noch gar nicht sehr verweste, kopflose Rümpfe zu reagieren. Aber auch dem mußte ein Rutengänger ins Auge sehen – bangemachen galt nicht und Gespenstern rief ein alter Soldat sein »Halt! Wer da!« zu und gab ihnen mit seiner Rute Saures. Wenn nur die Leute wieder begonnen hätten, ihre Kaufkraft richtig anzuwenden. Nun, nach dem Fall von Wien mußte auch das sich anders anlassen. Jetzt wollte er nach Haus und sich ein anderes Buch vorlesen lassen, das ihm Kamerad Vierkant geborgt, ein Kosmosbändchen über Vulkane und Erdbeben denn der brave Jules Verne, hatte er gelacht, war ja doch wohl etwas überholt mit seiner Fahrt vom Hekla zum Stromboli. Vielleicht sandte auch ein Richtbeil radioaktive Strahlen aus und möglicherweise waren mehr Leute dafür empfänglich, als sie wußten, und ließen sich von etwas Unerklärlichem abhalten, seine Ladenschwelle zu betreten. Dagegen gab es sicher Schutzmittel. Wenn man es etwa in eine alte Gummischürze einpackte? Der Versuch konnte nichts schaden. In einer Schublade unten im Wäscheschrank lag vielleicht noch eine von seinem Vater. Wozu war man wissenschaftlich gebildet und ein Sohn der neuen Zeit? Versuch macht klug, sagte der Volksmund, und der hatte recht,
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