Das Beil von Wandsbek
aus seinem geschmückten Sessel erhob und über das Treppenhaus guckte. Eine neue Volksgemeinschaft drückte sich hier aus, und die Gattin des Schlächtermeisters nahm es mit jeder Prinzessin aus der Villa Koldewey auf und sah aus, Donnerwetter. »Heil Hitler« rief er begeistert und schwang den Arm hoch, als kurz vor Mitternacht der Herr Reichsstatthalter sein Haus beehrte.
Anneliese Blüthe aber schritt schmal und golden als Partnerin des höchsten Beamten im Staate Hamburg die Schritte des Tango, drehte und wand sich und schickte ihre klugen Augen durchs Gewirr der Gäste zu dem alten Herrn Ruckstuhl hinüber, dermit ihrem Vater aufgestanden war und an der Brüstung lehnte. Niemand als sie war die Siegerin hier. Da drüben also tanzte die Koldewey mit H. P. Footh den Abschiedstanz – man durfte ihn ihr gönnen. Nicht sie würde den Aufstieg des Reeders Footh mitmachen. Nicht sie hatte der Reederei Footh Auftrieb verliehen und die Judenschiffe verschafft, nicht sie würde ihm Söhne und Erben gebären. Jetzt trug sie aus Spanien nur ein goldenes Kleid; aber sie würde ihm auch spanische Schiffe zuschanzen, von denen Kapitän Carstanjen ihr erzählt, und ihr Tänzer eben mußte ihr dazu verhelfen. Noch war der Sieg nicht erfochten, weder der in Spanien noch ihr hiesiger hier. Aber beide lagen auf dem gleichen Wege und deutlich sichtbar am Horizont. Diese hübsche Musik hier kam wohl aus New York ... Und sie lehnte sich enger in den Arm des Statthalters und sprach vertraulich als Landsmännin in rheinischem Tonfall die Überzeugung aus, man müßte ja wohl jäck sein, nämlich geistesverwirrt, um nicht zu merken, welchen großen Kurs das Reichsschiff jetzt steuerte und wie die Wirtschaft florierte. Davon natürlich, dachte sie weiter, merkte solch ein hübsches Schäfchen nichts, wie diese Frau Teetjen, die kitschige Lorelei. Sie, Anneliese, würde schon dafür sorgen, daß die Beziehungen abbrachen zwischen dem Schlächtermeister und ihrem Mann. Nein, mit diesem schönen Albert würde sie nicht tanzen.
Albert dachte auch nicht daran, heute nacht noch viel zu tanzen. Er saß mit hochgezogenen Brauen bei seinen einstigen Kameraden; besonders Herrn Ruckstuhl bewunderte er höchlich, und er hatte wohl auch zuviel von den verschiedenen Weinen und Schnäpsen genossen, die überall herumstanden, und sich gefreut, daß seine Fleischwaren den Gästen mundeten. An seinem Tisch wurde viel Politisches geredet, von einer Staatskrise, die in den Lüften hing, vom Führer aber mit gewohnter Meisterschaft bezwungen wurde. Irgend etwas war mit dem Wirtschaftsminister los, Herr Schacht sollte durch einen Herrn Funk ersetzt werden, eine große Arbeitslosigkeit war abzuwenden, die heraufbeschworen werden konnte, wenn man die Rüstung drosselte, um mit den westlichen Demokratien besser ins Geschäft zu kommen. Aber die Reichswehr wollte davon nichts hören, der Führerübernahm das Oberkommando über Heer und Flotte, neue Generäle würden ihn beraten, und der große Göring, Herr der Hermann-Göring-Werke, der Luftmacht und der Gestapo, würde einen Vierjahresplan von Stapel lassen, daß den anderen Staaten, besonders einem gewissen anderen, die Augen übergingen. Derartiges besprachen die Männer, und Albert saß dabei, verstand nur die Hälfte, fühlte sich aber glücklich und geborgen. Wenn die Schornsteine so stolz rauchten und gar Millionenziffern über die Weingläser hinflogen, da mußte auch er sein Schäfchen ins Trockene bringen und sich unbesorgt seiner Wünschelrute widmen können und seiner Stine. Mensch, Albert, die war ja doch die Schönste hier, und da drehte sie sich wahrhaftig im Walzer mit dem Reichsstatthalter und lachte und blickte zu ihm hinüber, so daß er aufstehen mußte, sich an die Brüstung lehnen und, wenn der nächste Tanz eine Polka war oder ein langsamer Fox, den Leuten zeigen, wie ein gut gewachsenes Ehepaar aussah, wenn es miteinander tanzte.
Zur Heimfahrt mußten sie dann eine Droschke nehmen und dem Chauffeur ein Sündengeld bezahlen. Aber Stine lehnte in seinem Arm und schlief fast auf der Stelle ein, und durch Nacht, Schnee und Frost glitten sie eilig und leise hin, und Albert sagte sich, das habe gelohnt, so fuhr man hin auf den Höhen des Lebens. Ein Bergmann aus der Erde Schoß und eine Wasserfee, die Lorelei ... Der Footh hatte etwas mit Österreich erzählt, von Wien, und daß er an die Donau hinunterstrebte, rumänisches Petroleum auf dem Flußweg heraufbringen wollte – nun ja, er,
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