Das Beil von Wandsbek
freilich jetzt, wo sich doch alles um Wien und die große Politik drehte, auf solch ein Inserat sehr achten würden? Keinesfalls ging es so weiter. Sie zehrten vom Kapital, kein Mensch hielt das durch. Er mußte irgendeinen von den Burschen stellen, die ihre Mäuler so über einen anständigen Gewerbetreibenden spazierenführten. Wenn da mal erst einer die Backzähne spuckte, lernten sie ihr Mundwerk schon halten. Worauf Stine einwandte, das werde auf keinen einladender wirken. Es hätte nicht viel gefehlt, daß sich Albert mit Heftigkeit gegen sie selber kehrte; im letzten Augenblick aber bezwang er sich, nickte und murmelte, wo sie recht habe, habe sie recht.
Immer öfter ertappten sich die beiden jetzt, daß sie, Bleistifte in der Hand, auf Zetteln Rechnereien kritzelten. Mitten in diesem Schreibwerk fragte Albert einmal, ob Stine es für möglich halte, daß jemand in der Gegend etwas von der Geschichte in Fuhlsbüttel gewittert habe. Mit rechten Dingen konnte das nicht zugehen, niemand habe ihn erkannt, das Geheimnis der Maske sei streng gewahrt worden. Außer Freund Footh wußte niemand was, und der hielt selbstverständlich dicht. Stine öffnete ihre Augen weit und sandte einen starken Blick unter ihrem Haarkranz in die seinen: »Wenn du endlich davon anfängst«, sagte sie, »ich mein’s schon längst. Wie so was rumkommt, weiß keiner. Mir stieß es gleich in den ersten Tagen das Herz ab, daß wir den ganzen Jammer vergeblich auf uns geladen hätten.« – Albert nahm seinen Schnurrbart zwischen die Lippen und blickte zu ihr hinüber: »Wußte gar nicht«, sagte er, »daß so viele Kommunisten in unserem Viertel wohnen.« – »Meint ja keiner«, entgegnete sie, »wer weiß auch, ob’s sowas Bestimmtes ist. Die Leute haben eben Scheu vor uns. Früher hätt’ man gesagt, es sei ein Zauber.« Albert schüttelte den Kopf. An so was glaubte kein vernünftiger Mensch. Viel näher lag, daß die roten Hunde Lunte gerochen hatten, weil er so ausgezeichnet worden war, der Statthalter und der Führer ihn empfangen hatten und weil das zeitlich auf die Fuhlsbüttler Geschichte folgte. Ob’s wahr sei oder falsch, was da geredet wurde, das ging die doch nicht an. Des Deutschen Achtung vor der Wahrheit war doch denen fremd, hatte die bolschewistischen Horden noch nie angehaucht. Der Timme sollte doch noch irgendwo in einem Betrieb seine Frau untergebracht haben; so eine würde natürlich jede Faselei aufnehmen und verbreiten. »Und könnt’ man ihr das übelnehmen?« fragte Stine sanft. Albert starrte sie wütend an, dann mußte er lachen.
Jedenfalls lief Albert ratlos und gereizt durch Wohnung und Laden und erinnerte Stine an den Eisbären in Stellingen, den er damals so aufmerksam gemustert. Seine Schritte knarrten auf den Dielen ganz anders als beim Ausprobieren der Wünschelrute. Daß es Leute wagten, über ihn solche Verleumdungen zu verbreiten, wenn es diese Leute gab, ohne daß er jemandem an die Gurgel fahren und die Gerüchtemacher umbringen konnte, dieseMöglichkeit fraß ihn innerlich ganz hohl. Immer wieder bewies er sich: es konnte ihn niemand erkannt haben. Immer wieder schlug er sich mit wilden Rachevorstellungen herum, den Sturm Preester zu mobilisieren, die Wohnungen des ganzen Viertels nach kommunistischer Literatur zu durchsuchen, den Wurm im Gebälk, den Feind im eigenen Hause aufzuspüren. Immer wieder riet ihm sein gesunder Verstand von solchen Narreteien ab. Auch daß er mit seinen Schwierigkeiten die Parteileitung nicht behelligen durfte, machte er sich selber klar. Abgesehen davon, daß sich im Gespräch mit Stine derartiges noch deutlicher herausstellte. Wer war Parteigenosse Teetjen, heute, wo der Führer den ältesten deutschen Traum verwirklichte, Heimkehr aller Brüder ins Reich? Teetjens mußten ihr Schicksal eben als winziges Teilchen des großen Kampfes um Deutschlands Auferstehen führen, alleine und mit eigenen Kräften. Sie brauchten ja noch lange nicht zu hungern. Was sie besaßen, reichte noch ein Halbjahr gut und gern. Inzwischen mußte sich alles wenden oder Freund Footh aus seinen vergrößerten Mitteln, seinem mächtig gestiegenen Einfluß von neuem Rat wissen. Schlimm genug, daß ein Kerl wie Albert Teetjen von unsichtbaren Zwergen umgeben sein sollte, die an einem unsichtbaren Netze knüpften. Und daß gegen solche Widersacher keine Wünschelrute half und weder Grübeln noch Aufbegehren.
Stine tat ihr Mann so leid, kaum auszudrücken. Ihr war das Ganze doch schon klar,
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