Das Beil von Wandsbek
Albert Teetjen, mußte sehen, wie auch er dabei einen Schnitt machte. Hamburger SS. sollte an die sächsische Grenze verlegt werden oder an die bayrische, das ging bei ihm ein wenig durcheinander. Nun, morgen, wenn er ausgeschlafen hatte, zum Glück war Sonntag, und wenn sich das Geschäft so schleppte, brauchte man morgen überhaupt nicht aufzumachen, konnte sich im Bette aalen – na und so weiter. Nein, seine Stine hatte ausgesehen – der Frau Kaltmann mußte man doch ein Stück Leberwurst mitbringen, wenn man die Sachen zurücktrug. Die besaß den Blick und die Erfahrung.Die Faschingszeit dieses Jahres ließ sich seltsam an, fand Albert. Die Leute kauften weder Fleisch noch Wurst – wahrscheinlich weil soviel Propaganda für Fischnahrung gemacht wurde, um jeden überflüssigen Import zu drosseln. Aber die Wirkung ging ein bißchen weit. Wären nicht Lawerentzens und der Lehrer Reitlin gewesen – man hätte auf allerlei Gedanken kommen können. Ohnehin merkte auch Stine, daß die Leute freundlich wie immer grüßten, aber kaum zu einem Plausch zu haben waren. Es tat Teetjen jetzt schon leid, für Ball und Heimfahrt mehr ausgegeben zu haben, als jetzt der Erlös zweier Tage betrug. Und am empfindlichsten traf Albert die Nachricht, die ihm die wiedergekommenen Lehmkes vermittelten, daß er zu der Stammannschaft gehören werde, die den Einmarsch in Österreich nicht mitmachen, sondern gleichsam als Traditionskompanie in Hamburg zurückbleiben werde. Viele der Kameraden waren schon fort. Sie trieben Wintersport in den bayrisch-österreichischen Grenzlanden, von Hindelang im Allgäu bis hinauf nach Traunstein tummelten sie sich auf ihren Skiern und warteten auf den Befehl zum Sammeln. Mit seiner Unfähigkeit zum Skilaufen war die Tatsache, daß man Albert, einen so stolzen und erprobten SS.-Mann, diesmal zurückgelassen hatte, hinreichend erklärt; der Bundeskanzler Schuschnigg konnte ja verrückt und brudermörderisch genug sein, um Kampf zu riskieren, wenn die deutschen Brüder aus dem Alt-Reich ihren österreichischen Parteigenossen zu Hilfe kamen, genau wie 1914. Nur daß es sich diesmal nicht um die Serben handelte, sondern um das Aufbegehren der völkisch gesonnenen Österreicher gegen den klerikalen Übermut der christlich-sozialen Heimwehrregierung, die, von ihrem katholischen Gott verblendet, sich gegen den größten Deutschen aller Zeiten zur Wehr setzen wollte. So, hieß es, habe sich Adolf Hitler in einer Unterredung stolz und bescheiden genannt, zu welcher er den Kanzler Schuschnigg nach Berchtesgaden befohlen hatte, anders konnte man es nicht nennen. Das erfuhr Albert von dem Kameraden Vierkant, als der wieder nach Hamburg kam, um den zweiten seiner Vorträge »Fünf Jahre Drittes Reich« in der Norag zu halten – Vorträge, die so einschlugen, daß ihm die Leitung nahegelegt hatte, ihre Zahl auf sechs zu erhöhen und für den Monat Mainicht nur die Niederwerfung der Gewerkschaften zum Thema zu nehmen, sondern auch die Bücherverbrennung, die um den zehnten herum in den deutschen Universitätsstädten gefeiert worden war. Als sechstes Thema würde er sich vielleicht im Zusammenhang mit der österreichischen Entwicklung den Stufenbau der Befriedung Europas wählen, wie sie durch die genialen Einzelschritte des Führers Gestalt gewannen. Von der Beseitigung der Schmach von Versailles über die Saarabstimmung, die Wiederwehrhaftmachung des Rheins und den Anschluß Österreichs: wie wurde aufgeräumt mit altem Unkraut, mit brutalen Kränkungen Deutschlands durch übermütige Sieger. Würden jetzt die Brüder der Ostmark ins alte Reich zurückkehren und das Verhängnis tilgen, das sich eigentlich schon 1742 anbahnte, als man Friedrich II., damals noch nicht »den Großen«, zwang, seine schlesischen Erbansprüche mit dem Schwert durchzusetzen, so gab es nur noch ein Problem, bevor an das Läuten wirklicher Friedensglocken gedacht werden konnte, und das hieß Danzig und der polnische Korridor. Aber auch das renkte sich nach Recht und Gerechtigkeit ein, weil die einstige Entente es jetzt mit einem dauerhaften und daher verläßlichen Gegenüber zu tun hatte. Das alles kündigte sich dem Wissenden schon 1933 an, gleich einer Knospe, die sich gesetzmäßig entfaltete. Jetzt also kam Österreich dran – »und wir können, Kamerad Teetjen, stolz darauf sein, daß wir’s so schnell erleben«.
Ja, der Vierkant war ein unterrichteter, gescheiter Parteigenosse, wenn er so mit Albert zwischen acht und neun in
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