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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Sphäre zu Anlässen oder Gründen für politische Entscheidungen wählten.
    Der weißsilberne Schein hatte ein inneres Leben, drei, vier Bögen hintereinander, übereinander schien er zu durchströmen, wie angeleuchteter Flor, Teile eines lebendigen Lichtleibes, eines flachen Wurms, der Mitgartschlange. »Ist die Mitgartschlange«, sagte Dörte. »Hatten wir bei Lehrer Wiepke.« So sieht’s aus, dachte Albert. Ist ja ganz was anderes als kosmischer Staub. Sind ja Strahlen. Radioaktivität durch die ganze Natur. Natürlich sieht man das nur bei Nacht. Aber das Beil muß weg. Vor der Nr. 17 trafen sie schon Stine, und ganz oben aus der Dachluke rief eine Stimme herunter: »Aurora borealis, das hat was zu bedeuten.«
    Niemand schien sie zu bemerken oder ihr antworten zu wollen. Gleichwohl ärgerte sich Redakteur Vierkant heftig über sich selbst, denn seit ihm das mit den Sonnenflecken eingefallen, plagteihn die Möglichkeit, diese Trübungen der Sonnenoberfläche, kosmische Elementarstürme, könnten, wie er gelesen hatte, auch auf die Menschenwelt Einfluß haben, die Menschenseele aufwirbeln, Revolutionen und Kriege zum Ausbruch bringen, für die objektive Gründe ja zumeist vorlagen. Dann hätten die Ammen und Affen vielleicht doch Anhaltspunkte zu ihrem Gerede.
    Stine indes klammerte sich fest an Alberts Arm, wortlos. Sie war zu Tom emporgeklettert, um die Anzeige zu verfassen, und dort oben von der ungeheuren Lichtschlange erschüttert worden, die Gott über Hamburg ausdehnte, ein Zeichen seiner unendlichen Gnade und Güte, fühlte sie. Sie mußte das mit Albert zusammen sehen, gleichen Schritts mit ihm unter dem Silberlicht. Sollten sie für Alberts Tat gestraft werden, so nur hier, zeitlich, nicht ewiglich. Vielleicht mußten sie büßen. Aber dann nur hienieden, in der sterblichen Gestalt. Ihr ewiges Teil würde gerettet werden. Das fühlte sie, die Augen am Himmel, wo das unirdische Licht floß und schwamm und winkte. Wie die silbernen Mauern des ewigen Jerusalem sah es aus, in den Chorälen. Albert fühlte sie schwer und warm an seinem Arm. »Werden das Beil nächstens mal wo anders hinbringen«, flüsterte er.
    In den nächsten Tagen ging Stine beschwingt umher. Das magische Blaugrün jenes Nachthimmels, die durchsichtige Strahlung im Norden flößten ihr eine Zuversicht ein, die von Alberts Entschluß und Versprechen gleichsam nur zu einem gegenständlichen Kern verdichtet worden war. Vielleicht hatte es Sinn, das Beil aus dem Haus zu schaffen. Vielleicht gingen Ängste und Plagen dann vorüber. In der Aufregung über das große Himmelszeichen kamen mehrere alte Kunden wieder in den Laden, abgesehen von den Getreuen, die nie ausgeblieben waren. In das neblige und dunstige Matschwetter von Ende Februar, Anfang März brachten die Zeitungen und Lautsprecher Aufregung und Spannung. Würden die Brüder in Österreich von dem Heimwehr-Schuschnigg vergewaltigt werden? Konnte dieser Bundeskanzler die Schamlosigkeit soweit treiben, deutsche Gaue durch eine Volksabstimmung den Feindmächten von Versailles auszuliefern? Würden sich die Brüder in Not erheben, auch wenn die rote Tschechoslowakeiden Wiener Marxisten Mordkolonnen und Kanonen zu Hilfe schickte? Würde Adolf Hitler seine und des deutschen Volkes Geduld, die zum Reißen gespannte, bis zum Äußersten treiben, bloß um den Frieden Europas zu bewahren? Mußte man dieser Welt nicht zeigen, daß sich das Deutschtum auch in der Ostmark nicht mit Füßen treten ließ?
    Und dann erscholl der Ruf »Fahnen heraus, die Ostmark ins Reich heimgekehrt, Wien gefallen ohne einen Schuß, die Juden laufen, rette sich wer kann«. Hamburgs Glocken läuteten, die Sirenen der Schiffe heulten begeistert, Böller donnerten vom Bismarck-Denkmal in St. Pauli: die deutschen Truppen hatten Wien besetzt, um dem marxistischen Umsturz zuvorzukommen, Herr Schuschnigg war geflüchtet und gefangen, eine Menge Staatsfeinde hatten sich umgebracht, um der gerechten Strafe zu entgehen; das Volk von Wien und Österreich aber strahlte, schmückte sich mit Veilchen, jubelte auf der Ringstraße, dem Wiener Jungfernstieg. Heim ins Reich! Und niemand in Europa muckste sich. Wiederum hatten diejenigen recht behalten, die auf Adolf Hitlers unfehlbaren Instinkt, seine niemals aussetzende Genialität vertraut hatten. Deutschland reichte jetzt wieder von der Nordsee bis zum Groß-Glockner, von Hamburg bis Klagenfurt, wie zu Karls des Großen Zeiten. Erst die Saar, dann der Rhein, dann die Donau. Und

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