Das Beil von Wandsbek
zu einem Fleet fahren, jetzt im Nebel, und es stillschweigend ins Wasser gleiten lassen«, hatte Stine vorgeschlagen, als er heute nachmittag wegging, um von der gegenüberliegenden Straßenseite aus den Betrieb im Warenhaus zu beobachten. Er hatte auf einen so hirnverbrannten Vorschlag nur durch mitleidiges Achselzucken geantwortet und mit dem Zeigefinger seine Stirn getippt. Man mußte es selbstverständlich verkaufen. Genug Händler saßen in der Altstadt, die wußten, was es wert war. Und wenn es denen die Kundschaft ebenfalls wegzauberte, um so besser. Zwanzig Jahre nach der großen Kaiserschlacht im Westen gab es keinen neuen Krieg und unter Hamburgs Stadtlaternen keinen Zauber, der das Geschäft ruinierte. Ließ er sich auf etwas ein, so höchstens auf einen Versuch, der das Beil aus dem Hause brachte, ohne daß man es einbüßte. Am besten gab man es dem Großvater zur Aufbewahrung, der es damals angeschafft und dem es eigentlich gehörte. Lag auf dem Wandsbeker Kirchhof begraben, der alte Mann. Das Ganze warmehr ein Spaß – konnte aber ja nichts schaden, nicht wahr? Und der Stine tat es den Gefallen.
Als sie ihn am nächsten Vormittag an sein Vorhaben erinnerte, während er, um seine Hand zu üben, Wurstspeile zuschnitzelte, wie in alter Zeit, bevor sie sie maschinell herstellten, – er hatte ja nichts zu tun –, blickte er sie mit schweren und abwesenden Augen an. »Gut«, meinte er, »machen wir heute nachmittag die verdammte Falle überhaupt nicht auf, fängt sich ja doch keine Fliege drin. Stecken wir das Beil in Großvaters Hügel unter den Efeu. Nimmst nachher eine Speckschwarte und fettest es ein.« Stine schüttelte den Kopf: »Mach’s lieber selbst, Albert. Ich hab Angst davor. Ist ja auch Männerwerk.« Albert nickte. Er saß hinter dem sinnlosen, nutzlosen Ladentisch und blickte angestrengt vor sich hin; er suchte sich zu erinnern. War ihm da heute nacht ein Traum übers Gesicht gelaufen, und er hatte davon nicht eine Ecke erwischt, nicht ein Tüpfelchen.
Es war am hellen Vormittag so dunkel im Laden, daß man hätte Licht brennen müssen, um Kunden zu bedienen. Aber Teetjens sparten, die Stromrechnung mußte kurz gehalten werden. Hamburg steckte wieder einmal in einer Nebelbank. Er stopfte sich eine Pfeife und sagte: »Komisch, Deern, sitzen mitten in Speckseiten und können eigentlich verhungern. Uns umbringen, mein ich, wenn’s nach den Leuten geht.« Er lachte kurz, strich ein Streichholz an – wie hell solch eine Flamme ein Gesicht beleuchten konnte, wenn draußen die Milchsuppe durch die Straße schwamm. Stine betrachtete ihn aufmerksam. »Dann müßtest du schon so freundlich sein, ich glaub nicht, daß ich’s könnte. Ich hätte doch Angst. – Was rauchst du denn da?« fragte sie und zog schnuppernd den Atem ein. »Freut mich, daß du’s riechst, Stine«, lachte er beifällig. »Bist doch ne richtige Soldatenfrau, hätt’ ich beinah gesagt. Seit ein paar Wochen sammle ich meine Stummel, hab’ sie zerschnitten, gewaschen, getrocknet – alles wie 1917. Und jetzt wandern sie in die Pfeife – meine alte von dazumal und mein alter Tabaksbeutel. ’s ist wieder Krieg, Stine. Mit dem inneren Feind, den wo ich kaum kenn’. Kommt mir aber gar nicht komisch vor. Lassen uns aber nicht unterkriegen,nöch? Schaun uns bald mal nach Hilfstruppen um. Kann ja keinem Menschen schaden, wenn er seinen verstorbenen Familienmitgliedern mal einen Besuch abstattet. Wenn der alte Herr man nicht schon ganz bös ist, wegen die lange Vernachlässigung.« Er sprach unterstrichen hamburgisch, fand Stine, schon mehr wie’s im Hafen klang oder während seiner Dienstzeit bei den Dreiundachtzigern.
Nachmittags gegen drei traten sie auf die von gelblicher Undurchsichtigkeit erfüllte Straße. Schon die Häuser gegenüber waren Schemen, betont und durchbrochen von den gelben Lichtvierecken der beleuchteten Fenster. Manche Leute brannten noch Gas, man sah es, ihre Vierecke sahen eher grünlich und weiß aus. Alle Dinge wirkten aufgelöst, verbreitert und unbestimmt; die Straßenbahn, die langsam fuhr und ängstlich klingelte, die Ecken der Häuser, die elektrischen Bogenlampen, in der Luft schwebend, wie gelbrote Fettflecke. Stine trug ihre Einholetasche am linken Arm, in der Lübeckerstraße Grünkohl einzukaufen, Rotkohl oder Mohrrüben, was die Markthalle dort am billigsten anbot. Albert hielt das Beil, in die alte Wachstuchschürze eingewickelt, wie ein Musikinstrument, eine langhalsige Laute oder
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