Das Beil von Wandsbek
Gitarre, auf die niemand achtete.
Sie machten den langen Weg zu Fuß. Die Straßen streckten sich aus dem Nichts ins Nichts. Die Menschen trugen eine Art Niemandsland mit sich herum. Paare hakten einander eng ein, und die Scheinwerfer der Autos warfen Lichtbahnen vor sich her. Albert kannte den Weg recht gut, den sie zurückzulegen hatten, dennoch mußte er scharf aufpassen. Man atmete, fand Stine, wie in einer Waschküche. Geesche Barfey hatte die ganze Stadt in ihre Gewalt bekommen. Die roten Lichter der Verkehrsregelung vermochten sich durchzusetzen, die grünen verschwammen ohnmächtig. Sie versuchte mit Albert darüber zu plaudern, ob es nicht billiger gekommen wäre, die Straßenbahn zu benutzen, statt die Sohlen der Schuhe abzulaufen. Aber er antwortete wenig, und sie gab es bald auf. Er mußte scharf aufpassen, die Lützowstraße nicht versäumen, bei der sie links einzubiegen hatten. Er hatte sich diesen Weg nicht so sonderbar und beklemmend vorgestellt.
Das Friedhofstor stand offen, aus der Gegend der kleinen Kirche hörte man das Geräusch von Harken oder Rechen, das Quietschen ungeschmierter Schubkarren. Albert hatte gehofft, das Grab leicht zu finden. Eine Esche und eine Trauerweide machten es kenntlich. Aber die letzte Behausung des Böttchermeisters Theodor A. Teetjen schien im Nebel verschwunden, Geäst und Gebüsch grüßte über viele Grabhügel, zwischen denen sich die beiden gleichsam verloren, hindurchwanden. Stine hielt Alberts Rechte fest umklammert, er spürte ihre Nägel. Beide gleichzeitig stießen an eine Bank, die plötzlich dastand, fielen mit einem Ruck in den Sitz: ein steinernes Kreuz zwischen zwei Bäumen und da, ein paar Schritte entfernt, ein Mann. In altväterischem Rock, halb von ihnen abgekehrt, mit einer Mütze, wie sie jetzt niemand mehr trug: der Großvater. Albert stierte mit weiten Augen hinüber, empor. Er war es. Wie auf dem Bild, das früher im Schlafzimmer der Eltern gehangen, der vergilbten Photographie. »Stine«, stöhnte er, riß seinen Arm um ihre Schulter. Ihre Zähne klapperten, hörbar. Jetzt wandte der Fremde dem Enkel das gelbliche und bartlose Gesicht über die Schulter zu: »Geh man wedder to Hus«, schalt er leise, »hättst es ja nich just mit meiner Binderbarte machen müssen, Döskopp. Davon will ick nix weten.« Und er wies mit ausgestrecktem Arm zur Stadt, trat zwischen die Stämme, das Steinkreuz und verschwand. Albert und Stine saßen noch da, bewegungslos, ein, zwei, drei Atemzüge lang. Dann, beide gleichzeitig, erhoben sie sich. »Davon hab ich geträumt«, sagte Albert und fuhr sich durch die Haare; jetzt erinnerte er sich. »Ist also nicht der richtige Platz«, flüsterte Stine. Als sie an der Kapellenmauer vorüberschlichen, die rostige Klinke des Gittertors niederdrückten, das zum Glück noch nicht verschlossen war, »richtig«, antwortete Albert, »es ist ja erst Mittag«, und er wies mit einer Kopfbewegung auf das Schild, welches den Bewohnern des Viertels die Schließungsstunden mitteilte. »Hast ihn gesehen?« – »Na vielleicht!« – »Auch gehört?« – »Wir träumen doch nicht.« Albert nahm das Beil unter den rechten Arm und schüttelte den linken, eingeschlafenen. »Was machen wir nun? So billig kommen wir nicht davon.« – »Hätten ihn fragen sollen.« – Er lächelte finster. »Fehlte mir die Traute zu. Jetzt fahren wir aber heim.Kommt ja ohnehin nicht mehr an auf die ein, zwei Groschen.« – »Doch«, behauptete Stine gefaßt, »bis zur Markthalle gehen wir auf alle Fälle.« Angesichts ihrer Resolutheit schüttelte sich Albert wie ein Hund, drückte das Kinn fester in den aufgestellten Kragen der Lederjacke, nahm sie am Arm. Mit langem Blick musterte er das Kapellchen, dessen Tor verschlossen aussah. »Könnten uns drin gern ein paar Minuten auf einer Betbank ausruhen.« – »Hier läßt’s sich auch sitzen«, entgegnete sie, auf eine große, niedrige Kiste weisend, welche, mit welken Blättern und gefallenem Reisig gefüllt, ein paar Meter entfernt an die Mauer stieß. Sie nahmen Platz, ließen die Beine hängen, ruhten sich aus. Albert stellte das Beil zwischen seine Knie. »Was war das bloß?« fragte er. »Vielleicht Friedhofspersonal, alles zufällige Ähnlichkeit und Nebel?« Stine schüttelte den Kopf, indes sie das grüne Hütchen fester draufdrückte. »Und was wir beide hörten? Wie er dich Döskopp schimpfte? Meine Großmutter hatte die Gabe, manchmal Leuten aus ihrer Familie zu begegnen, Seelen. Vielleicht
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