Das Beil von Wandsbek
Oh, auch das kam unweigerlich, sie hatte ihm verschwiegen, daß manche Leute, die sie früher freundlich grüßten, wenn sie ihr auf der Straße begegneten, jetzt wegsahen oder auf die andere Seite hinüberwechselten. Offene Beleidigungen vermied jedermann, dafür sorgte schon der Waffenrock, den Albert trug. Aber es gab versteckte Pfeile, und schöpfte er erst einmal Verdacht, verlor er sein Vertrauen zur Welt, witterte Demütigungen und Angriffe, so sah sie schwarz. Selbst die Lehmkeschen hatten ein kurioses Wesen angenommen. Sie, die Lehmken, war ihr ja nie grün gewesen, Stine wußte es sehr wohl; jetzt aber ging etwas Hinterhältiges von ihr aus, solch ein: Warte nur, Kleine, wie es eine gewisse Lehrerin in der Schule praktiziert, wenn eine was ausgefressen und nun erwischt werden sollte.
Schlimm blieb nur, daß sie keine Menschenseele in der Nähe wußte, mit der sie sich aussprechen konnte, ihr bedrängtes Herz erleichtern. Ihre Verwandten saßen in der Heide und waren mit sich beschäftigt, und eine Freundin hatte sie in dieser Gegend nichterworben – sie wußte schon, woran das lag. Nur Barfeys waren ihr freund. Aber mit ihnen von dieser ganzen Verstrickung zu sprechen, das verbot sich natürlich, und Pastor Langhammer hatten sie ins Lager verschleppt und ließen ihn nicht mehr heraus, sein Nachfolger aber gehörte zu den deutschen Christen, dem vermochte man ja nichts zu sagen. So blieb sie also in einen engen Kreis eingesperrt, wie ein Zirkuspferd, das an der Leine lief, immer rund herum – kein guter Zustand.
Auch Albert hatte sein Geheimnis vor ihr. Wenn er von der Hochbahn nach Hause ging und seine Vaterstadt sich vernebelt und schmutzig um ihn aufbaute, die vertrauten Straßenzüge, Übergänge, Häuserfronten, kam es ihm vor, als ginge er in Feindesland umher, wie früher in Schaulen oder Grodno. Sie hatte sich in Ausland verwandelt, seine Stadt Hamburg, in die Fremde. Dumpfe Feindseligkeit strahlte sie zu ihm herüber, und er erwiderte sie, den Unterkiefer vorgeschoben. Holt’s der Hund, so dachte er, so kriegt’s die Katze nicht. Kein Leben das für einen Menschen wie ihn. Im besetzten Gebiet konnte es so gewesen sein, da hockten sie in den Stuben bei verschlossenen Türen und haßten ihn an, wenn er als Sieger dahinschritt: Meinetwegen, das war ihr Recht. Hier aber, wo er von Geburt an daheim war, zur Schule gegangen, Räuber gespielt, seiner Dienstpflicht genügt und sich jederzeit eins gefühlt mit dem Mann auf der Straße – hier stieß es ihm bitter auf, war neuer Sport. Ohnmächtig wie eine Maus in der Falle, im Zweikampf mit lauter Unbekannten – nichts für seines Vaters Sohn! Kamen nach Ostern die Kameraden wieder zurück, füllte Leben und Lärm Lehmkes Panzerschenke, so würde wieder Wärme und Verlaß um ihn sein, Tuchfühlung mit dem Nebenmann. Und dann fand sich ja auch Herr Footh wieder ein, und er würde wieder Rückhalt haben, Kollegen, Mannschaft. Bis dahin mußte er sich mit Stine einspinnen, obwohl der die Geschichte mit dem Großvater offenbar mehr zu schaffen machte, als sie eingestand. Schien jetzt doch selbst ihm irgendein unguter Einfluß von dem Beil auszustrahlen, das in seiner gummierten Schürze seinen Platz in der Schublade wieder eingenommen hatte. Es mußte weg, bei besserem Wetter. Bis dahin: stramme Haltung, Gefreiter Teetjen, Rottenführer Teetjen.Die Nachrichten aus Wien klangen großartig, und die Bereinigung des Unrechts kündigte sich an, das die Versailler Idioten sich geleistet hatten, als sie drei Millionen Deutsche den Tschechen auslieferten, dem Mordgesindel, von dessen Untaten die vordersten Zeitungsseiten endlich überliefen. Dann kam wieder Leben in die Bude, und man brauchte nicht mehr so häufig seinen kleinen Köhm hinter die Binde zu gießen, wenn Stine just nicht hinsah. Denn das wollte er sich doch nicht angewöhnen – es lief ins Geld.
Daheim überraschte ihn Stine mit der Frage, was für einen Ausflug sie sich diesmal zu Ostern leisten könnten. »Ostern?« fragte er staunend. Daß dieses Fest bevorstand, hatte er wahrhaftig aus dem Sinn verloren. Noch im vergangenen Jahre freute er sich einen Monat vorher darauf, und dann fuhren sie zu Stines Leuten, weit draußen in der Heide, saßen in der niedrigen Wohnstube und ließen sich Napfkuchen und Kaffee schmecken. Diesmal ... Was alles war mit ihnen vorgegangen in dem einen Jahr? Selbst seit dem Stellinger Ausflug schien er sich so gealtert, als läge der nicht erst ein Halbjahr zurück
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