Das Beil von Wandsbek
hab ich’s geerbt. Und du mit deiner Wünschelrute – die bringt doch auch Begrabenes herauf. Wie soll denn unser Leben zu Ende sein, zwischen Geburt und Tod.« Albert schnaufte schwer. »Ich hab von ihm geträumt. Wer weiß, und du bist ne laterna magica, so ein Filmapparat. Wirfst auf den Nebel, was ich dir hinüberfunke. Leute, die so gut verheiratet sind wie wir, denken ja oft die gleichen Gedanken. Na, komm man, Alte, Weißkraut oder Grünkohl, was es grad gibt.« – »Grünkohl schmeckt besser, wenn er Frost abgekriegt hat«, damit stand Stine auf, stampfte mehrmals aufs Pflaster, die Füße wurden doch noch recht kalt, und zog sich den Mantel glatt. »Tja«, damit folgte Albert ihrem Beispiel, »da müssen wir sehen, wohin wir’s bringen. Jetzt glaub ich erst recht, es strahlt durch die Mauern. Die Elektrische nehmen wir doch, und einen Kaffee kochst du uns, Kleine, wie bei dem Besuch von Footh. Seinen Großvater trifft man nicht alle Tage.« Und er schulterte das Beil, diesmal mit der Rechten, nahm ihren Arm und stapfte über die Straße hinein in den Nebel.
Viertes Kapitel
Deutsche Ostern 38
Menschen, die einen starken und unerwarteten Eindruck erlebten, finden sich reichlich damit beschäftigt, ihn zu verdauen. Das alltägliche Leben geht weiter, seine Außenseite muß aufrechterhalten werden, außerdem tut unter solchen Umständen Beschäftigung besonders wohl, und wer keine hat, schafft sich welche. Es traf sich, daß dank der Probemobilmachung des Zehnten Korps sowohl auf dem Viehhof Hände fehlten, wie im Freihafen, und daß man Albert, als er sich draußen sehen ließ, sofort aufforderte, aushilfsweise zuzupacken. Stine ihrerseits benutzte die Gelegenheit, die seine Abwesenheit mehrere Tage hintereinander ihr bot, um gründlich reine zu machen, wofür das nahende Osterfest mehr als einen Vorwand bot. Es lag spät dies Jahr, aber eine Hausfrau muß die Feste nicht nur feiern, wie sie fallen, sondern sie zum Teil auch vorwegnehmen. Und so seifte Stine denn Schränke ab, Türen, die Innenseite der Fenster, räumte Schubladen auf, jagte Küchenschaben und Motten aus ihren Schlupfwinkeln und trug dabei unermüdlich die Frage mit sich herum, was diese Begegnung mit Alberts Großvater zu bedeuten habe, und wie das mit ihnen nun weitergehen werde, zu welchem Ende. Wie es eigentlich mit dem Leben nach dem Tode bestellt sei, dieses ehrwürdige Rätsel beschäftigte sie bei ihren Hantierungen, und zwar in der sonderbaren Form einer Fopperei und Scherzfrage aus ihrer Schulmädelzeit. Sie hatten damals einander aufgegeben, den Sinn von unverständlichen Sätzen zu erraten, die durch falsche Betonungen ihres deutschen Charakters völlig beraubt und in Erzeugnisse einer unbekannten Fremdsprache verwandelt schienen; den Erratenden blitzte dann plötzlich eine Kette vertrauter Wortbildungen auf. So enthüllte sich das lateinisch anmutende: Di Curantum Serum, als eine Kuh, die um einen See rannte, während: Di Curante Bissifil, sich in die gleiche Kuh verwandelte, welche rannte, bis sie fiel. Derjenige Satz nun, der von den Kindern unweigerlich mit Ostern zusammengebracht wurde, lautete: Osterbeen, Oneglaubeen ist ewiges Ferderbeen,und verbarg den Gesangbuchvers: o Sterben ohne Glauben ist ewiges Verderben. Ewiges Verderben war schlimm, das durfte man wohl sagen. Worin es bestand, brauchte man sich nicht auszumalen, das ging einem einfachen Weibe ohnehin über die Hutschnur. Zeitliches, je nun, darauf verstand man sich, und es genügte, es langte reichlich. Daß man dagegen kämpfen mußte, bis zum letzten Augenblick, verstand sich ja von selbst. Es lag im Geschöpf eingebettet von Geburt an. Wirf eine junge Katze ins Wasser und sieh zu, wie sie um sich schlägt und greift und das Ruder erwischt, das du ihr, von plötzlichem Mitleid überwältigt, hinstreckst, wie sie dann klatschnaß herauskriecht, dünn wie ein geschorenes Eichhörnchen und sich trocken legt und in der Sonne zusammenrollt, nachdem sie das Wasser aus ihrer Kehle geniest hat, als wollte sie ihre Seele von sich blasen. Mußte das Beil weg, so mußte es weg. Dafür kannte sie ihren Albert. Und es blieb nur abzuwarten, wohin er es beförderte. Nur gut, daß er etwas zu tun gefunden und ein paar Mark Tagelohn mit nach Haus brachte, ohne daß er sich etwas zu vergeben brauchte. Denn seinen Stolz würde er nicht kränken lassen, von keinem Menschen und keiner Macht der Welt, und sie fürchtete den Tag schon sehr, an welchem dergleichen auf ihn wartete.
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