Das Beil von Wandsbek
simple Seele gleich Auguste Langhammer. Hätte sie nur ahnen können, wie halbschlächtig sich diese Konservenmusik für Leute ausnahm, die Jahr für Jahr Hans Lavaters Aufführungen im Fraumünster von Zürich beigewohnt hatten. Und mußte sich das so lange hinziehen, konnte man sich nichts von den Arien und Chören schenken?
Den gleichen Gedanken drückte Stine Teetjen aus, nur auf einfachere Weise: sie schlief ein. Es dauerte zu lange. Wären SS. und SA. nicht mit der Eroberung von Österreich beschäftigt gewesen, Frau Pastor hätte sich ins Unglück gebracht. Wenn sie sich nur hätte drücken können, nach einer halben Stunde. Als jungem Ding konnte ihr die Sonntagskirche nie lang genug währen, damals hatte ihr’s der Herr Jesus angetan und ein junger Pastor mit halblangen Haaren. Später aber fand sie ihren Albert, und die irdischen Freuden drückten ihr den Willen Gottes immer lieber und lieber aus. »Seid fruchtbar und mehret euch« – wenn’s nicht ging, wer trug die Schuld? Jetzt jedenfalls träumte sie von Leinen voll Kinderwäsche, lauter kleinen Jäckchen, Windelchen und Höschen. Auf dem Rasen aber lagen Bettlaken ausgebreitet, und Großmutter Geisow, oder war es Geesche Barfey, schritt mit eine Gießkanne zwischen ihnen umher und begoß sie freundlich. »Wachst, wachst«, sagte sie dazu, und Stine mußte lachen. Vom Begießen wuchsen die Windeln nicht.
Albert ergriff ihren Arm »Komm«, sagte er, »fertig. Hast nicht gehört, wie sie’s abkürzten? Der Herr Kirchenvorstand drüben hat’s Frau Pastor in der Pause nahegelegt. Nun könnt’ ich mir ja einen Heidenspaß machen und die ganze Blase ins nächste Sturmlokalführen, aber das tu ich nicht. Komm, mach einen Abschiedsknicks vor Frau Pastor.« In der Tat, alle Anwesenden, Männer und Frauen, schritten an Frau Pastor vorüber, verneigten sich vor ihr, knicksten oder drückten ihr die Hand. Albert, als er vor der Dame stand und sich zusammennehmen mußte, um nicht die Hand zum Hitlergruß zu recken, fühlte sich von ihrem Blick schreckhaft angerührt. Solch große, graue Augäpfel warf sie auf ihn. »Bringen Sie’s in Ordnung, Teetjen«, flüsterte sie so deutlich durch das Rücken der Stühle und das Scharren der Stiefel, daß es ihn durchfuhr. Was die Ziege von ihm wollte! Nicht er hatte etwas in Ordnung zu bringen, aber die Leute seines Viertels. Jeder macht seinen Kram nach seiner Überzeugung. Der eine als Pastor, der andere als Schlächter. Ein jeglicher brauchte Courage zu seinem Job, um die Kosten konnte sich keiner drücken. Aber während er sich mit Stine aufs Rad schwang, sagte er wie beiläufig: »Hast gehört? Ist doch ’ne Kluge.« – »Hat sich was von ihm angepastort«, entgegnete Stine, in den Sattel steigend. – »Werden das Ding nach Ohlsdorf verfrachten, findet sich schon ein brauchbarer Grabhügel und einer, der aufpaßt, daß mir’s keiner stiehlt.« – »Wann?« fragte sie. – »Ist ’ne Wetterfrage«, antwortete er. – »Bald«, bat sie sprechenden Blicks. »War so schön wieder mit vielen Leuten. So geachtet und zugehörig.« Albert runzelte die Stirn, mußte jedoch zustimmend nicken. Aus den zahllosen Fenstern der großen Bürohäuser feierten noch immer ebensoviele Fähnchen, blutrote, kleine Flecken, das schwarze Hakenkreuz im weißen Grund, das Wiederaufleben des Exports, dank der Verständigung mit den Westmächten, die der österreichische Schritt voraussetzte.
Fünftes Kapitel
Der Heerwurm
In einem gut organisierten Staatswesen, noch dazu einem absolutistisch regierten, kann sich niemand auf einem Friedhof zu schaffen machen, ohne früher oder später von den aufsichtsführenden Beamten gestellt und ausgefragt zu werden, auch wenn ihm das Wetter zu Hilfe kommt. Freund Albert aber wünschtestreng gesetzmäßig vorzugehen, wenn er sein Beil irgendeinem Toten zur Bewachung anvertraute, und indem er Stine pfiffig zublinzelte, entwarf er einen Plan: wozu hatten wir denn unseren Doktor in Fuhlsbüttel. Er fuhr also noch am Ostersamstag hinaus, erfreute sich einer kurzen, aber trefflichen Unterhaltung mit Dr. Laberdan und brachte das Gewünschte mit heim – eine Bitte an die Friedhofsverwaltung Ohlsdorf, den Rutengänger Herrn Albert Teetjen bei seiner Ausbildung und seinen Untersuchungen gütigst gewähren zu lassen, ihn wo nötig zu unterstützen. Diesen Ausweis trug er alsbald zur Friedhofsverwaltung und ließ ihn sich auch dort stempeln – ein Stempel mehr verleiht jedem amtlichen Papier Zauberkraft,
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