Das Beil von Wandsbek
heute aber Volksgenossen, das bewies nur, wie gleich sich Umstände, Aufrührer und Gefolgschaften blieben. Er selber, Albert, fand sich im Waffenrock der damaligen SS. nicht zurecht, sah aber, auch diese Leute taten ihr Bestes, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, und natürlich war Hinrichtung mit dem Beil viel humaner als das Gezappel an den Kreuzen. Daß dabei Verwandte und sogar Frauen zuschauen durften, gehörte sich ganz und gar nicht. Man hätte den Kordon viel strenger handhaben müssen. Und was den Judas anlangte, von dem die Platten immer sangen, der ihn verriet, so tat dieser Mann einfach seine Pflicht dem Führer gegenüber, der also damals römischer Kaiser hieß, so als hätte sich einer von seinen Vieren losgekauft dadurch, daß er den anderen zu schnellerer Verurteilung verhalf. Daß es dem nachher schlecht gehen würde, lag in der Natur der Dinge; obwohl das Heftchen, welches Albert zwischen den Fingern hielt, davon nichts mehr berichtete, war ihm dennoch gewiß, daß ein paar Bibelseiten später zu lesen stand, wie dieser Judas Ischarioth sich an einem Baum aufhängte, bis er tot war. Ob ihn die Jerusalemer boykottiert hatten, wie einen gewissen anderen Diener seines Führers die Hamburger? War den Idioten ganz recht, daß ein solcher Kerl sie kleben ließ zwischen ihren Fleeten, Geldschränken und Wasserläufen! Nur seine Pfeife hätte er gern gerauchtwährend dieser sogenannten Leichenfeier. Der Jude Levysohn da vorn verstand sich aber auf den Plattenwechsel – Donnerwetter. Ja, einen Teil nahm ihm der Apparat sogar selber ab. Albert konnte leider nicht sehen, wie das vor sich ging.
Stine dagegen saß mit geschlossenen Augen und hörte die fremdartige, allzu verschränkte, kunstvoll aufgetürmte Musik mit tiefem Glück, das bei den Chorälen, die ihr geläufig waren, zu befreiendem innerem Mitsingen anschwoll. »Herzliebster Jesus, was hast du verbrochen«; »Vater unser im Himmelreich«; »Mach’s mit mir, Gott, nach deiner Güt’«; »Christus, der uns selig macht«. Ja, Pastor Langhammer hatte viele Anhänger in Hamburg gehabt, das zeigte sich jetzt. Es ging ein dauerndes Schluchzen und Schnupfen durch den Unterstand, und auch die Männer brauchten ihre Taschentücher, verstohlen, wie es sich für Männer gehörte. Aber die Frau Pastorin hatte es klug angefangen. Bachmusik war keineswegs verboten, vielleicht wurde sie sogar noch in diesem oder jenem Saal aufgeführt oder von der Norag übertragen. Dennoch, das hier erreichte einen anderen Zweck mit erlaubten Mitteln; die Frau Pastorin konnte wirklich so stolz und grade in ihrem Stuhl dort vorne sitzen und die Gemeinde gewissermaßen zusammenhalten im Andenken und im Glauben stärken. War da nicht auch vom Fest der ungesäuerten Brote die Rede gewesen? Oder fand sich das im Markus-Evangelium? Was die Juden damit für eine Schererei hatten – du liebe Zeit! Bei Apotheker Plauts brachte man sich um, daß auch ja kein Sauerteig im Hause liegen blieb, und von seinem Vetter, dem Herrn Rabbiner Plaut, wurde berichtet, daß er ausdrücklich Brotkrumen unter das Sofa streuen ließ, damit er nur ja etwas fand, das dann feierlich verbrannt werden konnte. Daß man für dieses Pessachfest, wie es heute hieß, noch eigens ganz besonderes Geschirr besitzen mußte, milchig und fleischig getrennt, konnten sich auch nur Juden leisten. Früher hatte auch Stine wie so viele Hamburger, geglaubt, daß es überhaupt nur reiche Juden in der Welt gebe; später aber hatte sie auf die Landungsbrücken und in die Auswandererhallen genug armen Juden, die das einstige Zarenrußland verließen, Frühstückskörbe hingetragen, oder sie hatte Frau Plaut begleitet, wenn sie alte Kleider, Wäsche und so manchenlieben Taler unter die armen Leute verteilte. Daß jemals solche Auswanderungen aus Deutschland stattfinden mußten, kam natürlich gar nicht in Betracht. Wer weggehen wollte, wem das Hakenkreuz nicht paßte, der wurde eben nicht festgehalten. Sein Sach aber konnte er einpacken und mitnehmen, und nur Steuern mußte er zahlen, wie jeder Bürger, das hatte ihr Lehmke erklärt. Ob Frau Pastor jetzt auch das Land verließ? Sah nicht so aus, die Frau. Von ihren Kindern war keins hier anwesend – hatte aber drei oder vier. Na ja, in der HJ. durfte sich nicht herumreden, was da zu Ehren ihres Vaters verbrochen wurde ... Was in Frau Pastors Innerm wohl vorgehen mochte? Ob sie innen auch mitsang »Mach’s mit mir, Herr, nach deiner Güt’«?
Ja, Frau Pastor sang das
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