Das Beil von Wandsbek
dem allen Konfessionen und Bekenntnissen geöffneten Friedhof. Hier lagen die Angehörigen gehobener Arbeiter, kleiner Beamter. Unter den Gräberreihen, zwischen denen Wacholderbüsche die teuren Zypressen vertraten und viel besser in die Landschaft paßten, war Albert ein besonders sorgfältig zugedecktes Grab aufgefallen, ein grüner Hügel aus Tannenreisig, unter welchem sein Beil gut halten würde. Eine weiße Blechtafel, Ersatz für einen späteren Stein, enthielt den Namen: Helene Prestow, Privatiere, und die Aktennummer für etwaige Besucher; es konnten deren gar nicht so wenige sein, nach den vielen Blumentöpfen zu urteilen, die mit Erde gefüllt, aber noch ohne Gewächse den hohen Wacholder zu Häupten des Grabes umgaben; je zwei kleinere, fast schwarze, flankierten ihn rechts und links. Eine traurige, vorläufig noch etwas öde Zierde. (Ohne den Trambahnführer Otto Prestow und seine Kameraden wäre nicht einmal dieser Schmuck aus der Heide beigeschafft worden.)
»Ob in den Töpfen schon Hyazinthen und Tulpen stecken oder andere Zwiebeln, sonst hätten die hier doch gar keinen Sinn«, meinte Stine, während sie Albert half, das grüne Gezweig beiseite zu räumen, Äste von Kiefer und Wacholder, die vielleicht weit draußen in der Heide gebrochen und hierher gebracht worden waren. Dann, während sie die Töpfe genauer untersuchte, ob schon grüne Spitzchen den blaßbraunen Boden durchbrachen, drückte Albert das Blatt des Beils, gut eingefettet, in den weichen Boden und häufte das Reisig sorgfältig wieder darüber. So eifrig war er darauf bedacht, den Stiel der Axt auch gewiß völlig unsichtbar zu verdecken, daß er nicht merkte, wie ihm seine Uhr,von ihrer schweren Silberkette gezogen, aus der Westentasche glitt dank der schlechten Angewohnheit, sie wie ein freies Anhängsel oder einen Bierzipfel als nutzlose Schlinge aus der Weste hängen zu lassen. Es war spät nachmittags am letzten Apriltage. Albert und Stine mußten noch nach St. Pauli zu den Landungsbrücken, wo Alberts Helgoländer Schwägersleute für ihn eine Verabredung mit einem Käptn getroffen hatten, der für den Gastwirt Ahlsen ein paar Gefälligkeiten aus Hamburg mitbringen sollte. Fünfunddreißig Mark sollte Albert für Ahlsen auslegen, die er im Sommer bestimmt zurückbekommen würde, wenn die Kurgäste Zaster in Helgoland ließen. In der Kajüte des Helgolandfahrers, als noch ein zweiter Grog vorgeschlagen wurde, merkte Albert bereits, daß ihm die Uhr fehlte. Er konnte sie nur bei dem Grab da verloren haben. Am Abend wollte er nicht noch einmal hinaus, der Schiffer hatte ernsthaft beteuert, heute nacht sei Walpurgis, da seien alle Geister los, und er dächte nicht daran, heute noch Anker zu lichten. Morgen am ersten Mai werde er sich mit der Mannschaft einigen und den Tag der deutschen Arbeiter – er griente dabei von einem Ohr zum anderen – in einen Halbfeiertag verwandeln. Sonderbarerweise machte die Redensart von den Geistern, die heute nacht frei spuken durften, auf Albert wie auf Stine einen gewissen Eindruck. Obwohl der Uhr trotz ihrer Schutzkapsel die Nacht im Tau und Nebelfall sicherlich schlecht bekam, wollte Albert sie doch erst morgen früh holen, um anschließend mit der Rute auf den Wellingsbüttler Sportplätzen oder im Borstler Moor zu trainieren. Man konnte früh auf sein, sein Futter mitnehmen, den ganzen Tag draußen bleiben – die Kunden würden den Laden ja nicht stürmen, nöch? Er hätte ja auch allein hinüberflitzen können, aber Stine wollte nicht ohne ihn zu Hause sitzen – heute nicht. Wer wußte denn, ob das fehlende Beil in der Wohnung nicht allerhand Unfug losließ? Spuk zur See und Spuk auf dem Lande, und Pastor Langhammer war an einem Schädelbruch zugrunde gegangen, er sei, hieß es, im Lager Fuhlsbüttel interniert gewesen und eine steinerne Treppe heruntergefallen. Gar keine sehr hohe. Mit Fuhlsbüttel aber wollten weder Albert noch Stine viel zu tun haben. Mit diesem Namen war eine Wendung in ihrem Leben verknüpft, die sehrnach Hexen- oder Teufelsgold aussah: am Zahltag kriegst du gewichtige Taler oder blaue Lappen, und in der Schublade verwandelten sie sich mir nichts, dir nichts in Tannenzapfen oder welke Blätter. Ganz so schlimm schaute es bei ihnen ja noch nicht aus. Aber Wohlsein und Segen schwebte offenbar nicht um diese einst so rettende Unternehmung ...
Sie waren beide zeitig auf, frühstückten kurz, steckten sich Proviant ein und glitten auf den Rädern durch eine noch
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