Das Beil von Wandsbek
innerlich mit. Hier versammelten sich im Keller die wahren Christen, wie zu Zeiten der Nero und Diokletian. Hier schieden sich die Wege derer, deren Reich von dieser Welt war und von der anderen. Und Zukunft für sich besaßen nur diese anderen als deren Vertreter diese arme Gemeinde ihren Hirten betrauerte, einen Mann nach Jesu Willen, Vorgang und Beispiel – wenn es gestattet war, ein so großes Wort für einen gebrechlichen Menschen zu wagen. »Denke ja nicht, daß wir wenige sind, Auguste«, hatte er ihr versichert, als sie ihn abholten. »Ein ganzes deutsches Volk der Zukunft sehe ich hinter uns marschieren. Denn die Wahrheit ist nur eine, und nur in einem Zeichen wirst du siegen, steht geschrieben. Und dies Zeichen ist nicht das gebrochene Kreuz, sondern das auf Golgatha errichtete, das aufrechte, das hochgelobte.« Vorläufig wohl führte der Weg in die Keller. Und noch tiefer hinab in die Gräber. Aber so wahr die Sonne sich jeden Morgen aus ihrem Untergang wieder erhob, mußte auch der Glaube wieder auferstehen, die Botschaft von Gerechtigkeit, Wahrheit und brüderlicher Liebe. Ein Justus Langhammer war ausgelöscht worden – durfte man so sagen? Er war gewürdigt worden des Märtyrertodes wie kaum einer seiner Vorfahren, und seine Blutzeugenschaft würde in den Seelen seiner Gemeinde keimen und Frucht tragen. Und nahm ihr der Herodes, welcher auch mit H anfing, ihre leiblichen Kinder, so erwarb sie jetzt alle diese zur geistlichen Kindschaft und würde sie führen nach dem Worte, das geschrieben stand: »Seid klugwie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben« – so wie sie diese Feier veranstaltet hatte, unangreifbar und unzweideutig. Daß Rohmes gerade jetzt auf der Durchreise hier sein mußten, diese Ungläubigen, die alles für Greuelpropaganda hielten, was im Dritten Reich geschah, verriet auch den Finger Gottes. Professors in Zürich – da lebte und webte man weit vom Schuß, und die in Amerika brauchten ja auch nichts zu glauben, was bloß gedruckt zu lesen stand auf geduldigem Papier. Hier aber – der Herr verwarf die Thomasnaturen keineswegs. Er ließ sie den Finger in die Wundmale legen. Nun legten sie ihn, ob sie wollten oder nicht. Es gab kein Ausweichen mehr ... Und wenn sich die gute Claudia noch so sehr krümmte, die in Zürich offenbar nur Edelnazis kennengelernt, sie und Rohme waren nicht umsonst jahrelang Studienfreunde ihres Justus in Göttingen gewesen, ihres geliebten, tapferen, großen Märtyrers ... Und während ihr schwere Tränen aus den Augen liefen, hielt sie sie weit offen auf das Freundespaar gerichtet, dieses Ehepaar, welches die besten und behütetsten Traditionen des akademischen Deutschland vertrat. »Gehet hin in alle Welt, leget ab Zeugnis von dem, was ihr hier gesehen«, forderte das Evangelium. Man durfte sich nicht entziehen. Das hieß Christenpflicht.
Die Gäste und Freunde hingegen verständigten sich miteinander durch einen Händedruck und drei geflüsterte Worte, während der Plattenministrant zwischen dem zweiten und dritten Teil eine Pause einlegte. »Arme Auguste«, murmelte Professor Rohme, seine Gattin aber antwortete mit leisen Lippen: »Abgeschmackt.« Selbstverständlich schickte es sich nicht, Bachs großartiges Werk, den heiligsten Text der Christenheit, zum Requiem für einen eigensinnigen Feind seines eigenen Volkes und Staates zu erniedrigen. Man mußte beide Teile hören, beide Seiten. Der Tod Pastor Langhammers war möglicherweise ein Unfall, vielleicht aber auch von diesem zum Starrsinn neigenden Eigenbrötler herausgefordert worden. Wer wußte das? Und daraus nun gleich eine Katakombenfeier zu schneidern, seit drei Tagen nur in der Größe des geraubten Gatten und geistlichen Hirten zu leben, das ging denn doch gegen den Geschmack. Rohmes hatten sich streng ferngehalten von all dem Unflat, der als Emigrationüber die Schweizer Grenze geschwemmt worden war trotz der genauen Siebung durch die Eidgenossenschaft. Sie hatten sich all dem Volksfrontgetue widersetzt und entzogen, das in Spanien und Frankreich dem Faschismus entgegengehalten wurde. Sie waren keine Faschistenfreunde, sie ließen jedem das Seine, aber als gerechter Mensch mußte man doch mit Händen greifen, wie groß Mussolini und Hitler ihre Länder erhöht und wie tief der Stalin-Kurs Rußland in den Augen aller Kulturmenschen erniedrigt hatte. Alle diese Feinde autoritärer Regierungsformen neigten zur Reklame. Ob es nun die Herren Einstein oder Freud waren oder eine einst so
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