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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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vorübertriebst, auf dem schönen, kühlen Wasser, in der angenehmen Welt. Aber dann kommt eine verankerte Tonne, ein stählerner Ball, dein Kamerad fragt dich plötzlich besorgt, was das denn zu bedeuten habe, und ob man sich nicht den Ufern zuwenden sollte. Und da ist es zu spät, und wenn du ihn dafür etwa anschreist, weil er dich nicht schon früher auf die Fahrbahn aufmerksam machte, kannst du ihm und allen Kundigen nur leid tun. Legt euch in die Ruder, Leute, und arbeitet, arbeitet um euer Leben, damit euch die Fische nicht auslachen, besonders die Aale und Welse, die sich hernach an euch delektieren.
    Obwohl Albert nach vielen Richtungen Ausschau hielt und jeden überflüssigen Verbrauch drosselte, merkte er den ganzen Ernst seiner Lage doch erst, als mit dem Beginn dieses Halbjahrs der Steuerbescheid eintraf, den er vor Monaten so sorgsam vorbereitete. Er kam amtlich zusammengefaltet und verlangte von ihm nicht nur eine Nachzahlung von acht Prozent jener einmal verdienten Zuschußsumme, kinderloses Ehepaar!, sondern auch eine erhöhte Vorauszahlung für die Steuer dieses Jahres. Die Formel »Kinder keine« war wie unabsichtlich mit blauem Bleistift angekreuzt worden, und ein gedruckter Mahnzettel lag beigefaltet, der in allgemeinen Redewendungen auf die Vorteile des Kindersegens in einem gerecht besteuernden Staate hinwies und die besonderen Pflichten unterstrich, die das nationalsozialistische Gemeinwesen seinen Bürgern auferlegt, Männern und Frauen zu Nutz und Frommen der schöpferischen Rasse und der zukünftigen deutschen Aufgaben. Der Schrieb war ja albern, und Albert zerknitterte ihn wütend, aber dann glättete ihn Stine wieder, saß am Tisch und sagte kummervoll: »Als ob es an uns läge.« – »Die Esel verstehen ja nichts«, knurrte Albert, »hundertzwanzig Mark mehr, das geht doch nicht, mußt hingehen, es ihnen klarmachen.« – »Ich«, rief Stine erbleichend. – »Vielleicht ich?« fragte Albert heftig zurück, »damit sie mir anraten, ich sollte mich von dir scheiden lassen.« Stine riß die Augen auf: »Das traut sich doch keiner. Wäre doch zu frech.« – »Weißt nicht mehr, wie sie sich wegen Rassenschande angestellt haben? Wenn’s wieder hieße, der Kaiser braucht Soldaten ...?« – »Zum Finanzamt geh ich nicht«, erklärte Stine mit Entschiedenheit, und Albert musterte sie mit schwerem Blick: »Hätte ja auch keinen Zweck. Müßten vielleicht den Rechtsanwalt aufsuchen vom Footh, aber das würde sicher kosten. Und die Schlußantwort kennt man: Das Reich lebt von den Steuern. Vor fünf Jahren hat der Adolf ja verkünden lassen, er mache seinen Dienst umsonst, ihm genügten seine Schriftstellereinnahmen, mehr könnte man nicht verlangen.« Und nach einer Pause, während welcher er seine müßigen Fäuste betrachtete, fügte er hinzu: »Inzwischen ist’s ja davon still geworden. Aber Schiffe und Bomber und Tanks und Öl und Autostraßen und Flugplätze. Man sagt ja nichts. Man ist ja stolz auf. Aber zerquetschtdarf man doch nicht werden, zwischen den Konzernen.« – Stine, die ängstlich ihr Rechnungsbuch aus der Schublade genommen und, den durchgedrückten Zeigefinger auf dem rotbraunen Bleistift, Zahlen geschrieben hatte, hob ihr Gesicht vom Papier, ganz erblichen: »Wenn wir hundertzwanzig Mark aufs Finanzamt überschreiben sollen, dann sind wir in drei Monaten am Ende. Ganz aus.« Albert zog das Heft zu sich herüber, obwohl er ihr aufs Wort glaubte, starrte die kurze Zahlensäule an und sagte nichts. Inzwischen nahm Stine das Heft wieder an sich, es zeigte auf gelblichem Papier blaue und rote Linien und Rubriken, überprüfte Zeile für Zeile und murmelte: »Ja, bis September einschließlich. Dann hat uns das gerade ein Jahr weitergeholfen.« Albert stand auf, schlurfte in seinen Hausschuhen, sogenannten Tüffeln, zum Kleiderschrank, entnahm ihm die Kümmelflasche – er ging sehr sparsam mit ihr um –, goß sich ein Gläschen ein und kippte es hinunter. »Noch allerhand Zeit«, knurrte er. »Muß was geschehen. Footh wird helfen.« – »Immer wieder der«, seufzte Stine. Aber um ihm nicht den letzten Rest von Zuversicht zu rauben, den sie in seinen Mienen glimmen sah, verschwieg sie ihm den Zweifel, den sie diesesmal verspürte, sie, die vor einem Jahr so munter und überzeugt darauf gedrängt hatte, die Verbindung mit dem reichen Reeder wieder aufzunehmen. »Fräulein Petersen hat eine Tüte für dich abgegeben«, das fiel ihr plötzlich ein, »sie hat gestern abend ihre

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