Das Beil von Wandsbek
auf seiner armen, kleinen Frau, der braven Stine. Was für ein sonderbares Spiel diese beiden Leute just heute hierhergebracht hatte und just an ihren Hochzeitstisch, mit welchem eine weitere Epoche ihres Lebens endete, die zweite oder dritte, und mit welchem eine neue anheben sollte, die vierte und letzte,wenn alles in gehörigen Bahnen blieb. Hatte sich Karl August Lintze, gleichsam ohne es zu wissen, den Bert zum Stellvertreter ausgewählt, um seine Gaben darzubringen, so durfte sie in diesem Teetjen denjenigen Friedrich Timmes erblicken, mit seinem Beil und seiner Mahnung, die außer Koldewey niemand erraten konnte, ihrem Koldewey, ihrem Heinrich, dem sie jetzt du sagen sollte und auch schon sagte, und mit dem sie früher oder später, vielleicht auch nicht gerade heute, auch das Band körperlicher Erlebnisse verbinden würde. Niemand besser als Friedel würde, wenn er noch lebte, verstehen und billigen, daß ihr dieser Teetjen leid zu tun begann. Sie konnte es nicht leugnen. Besitz und Herrschaft, Einfluß und Ansehen sind mächtige Triebkräfte; wer sie als Klasse innehat, verteidigt sie mit Zähnen und Klauen und wird von ihnen weiter und weiter getrieben, Gesetz der Ausbreitung. Lassen sich ganze Völker zu Werkzeugen solcher Mächtegruppen einkneten, wie man’s jetzt um Spanien beobachtete – wie hatte sie, Käte, den gleichen Vorgang einem einzigen, winzigen Handlanger so tief verübeln können, dem Schlächtermeister Teetjen mit dem Beil, der noch dazu durch ihren eigenen Briefumschlag, ihre Dienstwilligkeit und Nächstenliebe auf die abschüssige Bahn gesetzt worden war, auf welcher er immer weiter herunterrutschte wie ein Schiff, das von Stapel läuft? Vielleicht brachte sie es fertig, daß er nun auf dieser Seifenrutschbahn mit seiner Frau ins Wasser plumpste und ertrank. Was aber war damit bewirkt? Wem geholfen? Wer gerächt? Sie hatte auf lächerliche Weise einen einzelnen Furunkel bekämpft, ein rotgelbes Geschwürchen aufs altmodischste mit dem Messer angegangen, statt auf die Gesamterkrankung zu sehen, diese Furunkulose, die den Gesellschaftskörper vereiterte und durchsetzte, zu heilen, nur mit einer grundsätzlich anderen Therapie, mit starken Dosen eines Mittels, das, gleich dem jetzt entdeckten Dagenan, jahrzehntelang im Laboratorium des Weltgeistes gelegen hatte, angewandt zum erstenmal von Ausländern, dem kleinen, zierlichen Herrn Lenin an der Spitze. Der Irrtum, den sie begangen, der Fehlweg, den sie eingeschlagen, dort saß er leibhaftig an ihrer Kaffeetafel und hob jetzt ein Gläschen und prostete ihr zu. Schön, schön. Meister Teetjen, Sie sehen aus wie ein guter Kämpfer, lassenSie sich jetzt den Wind tüchtig um die Ohren brausen, zur rechten Zeit wird man nach Ihren Diensten wieder schicken. Sie werden gewürdigt sein, an der Wiedergutmachung mitzuarbeiten, der Befreiung unseres Volkes von dieser Furunkulose, aber dazu müssen Sie erst weichgeklopft werden, und darum bleibt’s dabei, niemand wird zurückgepfiffen, kein Druck erleichtert. Erst haben Sie sich freiwillig gemeldet, das nächste Mal werden Sie unfreiwillig geschoben, und wenn Thyra das in Ihrem Horoskop findet, will ich der Astrologie ein Hühnchen schlachten oder ein Kaninchen, oder was für ein Opfer diese Göttin und Religion verlangt. Und Käte Neumeier, die neue Frau Dr. Koldewey, hob ihre Kaffeetasse und erwiderte mit humoristischem Ausdruck den Zutrunk Alberts. Wieder schlug die Uhr, und diesmal hörten es alle, sie schlug sieben.
Das Koldeweysche Haus stand an diesem Morgen im gelblichen Frühlingsnebel, sämtliche Fenster weit geöffnet und so gut wie alle Zimmer in jenem Verbrauchtsein, das die menschlichen Unternehmungen im Gefüge des zivilisierten Lebens zu hinterlassen pflegen, bis dienstbare Geister diese Spuren tilgen. Am ersten Mai, dem Tag der deutschen Arbeit, hätten diese vielleicht ein Anrecht darauf gehabt, eine so außergewöhnliche Unordnung erst später beseitigen zu müssen, aber sie taten es gern schon jetzt, daran brauchte niemand zu zweifeln, und ließen sich dazu nur vom Radio Musik machen. Herr Heinrich Koldewey und seine Gattin zogen sich in das bisherige Schlafzimmer des Herrn Direktor zurück, die beiden jungen Damen schliefen bereits aufs heftigste, und Fräulein Annette, in gewohnter Liebenswürdigkeit, hatte es übernommen, Rohmes im Hotel Atlantik abzuliefern, was durchaus nicht so einfach zu bewerkstelligen war, weil die innere Stadt von Marschgruppen wimmelte, die zum Stadtpark
Weitere Kostenlose Bücher