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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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und zum Heiligen-Geist-Feld hinstrebten. Aber schließlich ward auch das geschafft. Bert Boje, der im Notsitz mitgefahren, wie einst ein gewisser Tom Barfey nach Stellingen, stieg aus, setzte sich neben die Fahrerin und wechselte während dieser Prozedur mit ihr einen langen Blick. Was nun? hieß der. Wie geht es mit uns weiter, Fräulein? Und genau so, nur zaghafter, glitt es durchs Gemüt der jungen Frau. Zwischen Bert und Annettehatten die letzten Monate eine Fülle unausgesprochener Befreundungen, fast Gewöhnungen geschaffen, aus Hunderten kleiner Handreichungen, die alle mit Käte Neumeiers Hochzeit in Verbindung standen. Aber ein junges Paar bereitet nicht umsonst einem älteren die Verehelichung vor. Bert ließ seine Blicke schweigend und dringlich auf Annettes von den hohen Backenknochen charaktervoll geprägtem Slaven- oder Südseegesicht ruhen. Beide verspürten offenbar keine Lust, in die Villa zurückzufahren, wo sie nur störten, obwohl die Mengers-Mansarde, wie das gelbgetünchte Dachzimmer mit dem runden Fenster jetzt hieß, seit langem ein Gastbett für Herrn Boje barg. Plötzlich schlug sich der mit einem gespielten Entschluß vor die Stirn: »Heißt es nun, den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf, oder was man nicht im Kopf hat, muß das Auto in den Beinen haben? Ich habe doch versprochen, meinem neuen Freund, dem Sturmführer Preester, die argentinischen Briefmarken herüberzubringen, die auf unserem Paketchen geklebt haben, dem mit den Wurzeln und dem Kurare. Fahr mich in Kätes Stadtquartier.«
    Annette verbarg ein Lächeln, dieses plötzliche Du quittierend. »Dann hätten wir diese Teetjens auch gleich mitverladen können«, sagte sie und gab Gas. Sie hatte ihr großblumiges, reizendbuntes Abendkleid noch an, aber einen Sportmantel darüber, den Kragen hochgeschlagen und bis unters Kinn zugeknöpft, und mußte achtgeben, daß der seidene Saum nicht mit dem möglicherweise ölbefleckten Metall des Gashebels in Berührung kam, preßte also die Knie aneinander und hob die Seide hoch hinauf. Bert Boje fragte: »Darf ich behilflich sein?« und legte seine Hand auf diesen Saum, oder vielmehr auf dieses Knie, da ja eine Fahrerin beide Hände braucht, um das Steuer zu bedienen. Die gute Marie war auf Urlaub, sie hatte sich gestern nachmittag weinend von Frau Doktor verabschiedet, an deren Stadtbetrieb sich doch manches ändern würde – Marie konnte für die Abende oder die Vormittage eine Stelle als Aufwartung annehmen, nur in den Sprechstunden mußte sie nach wie vor Frau Doktor helfen. Zum Glück hatte Bert Käte Neumeiers Schlüssel in seinem Mantel, weil das mit den Blumen und der Schale sich zu allermeist in der Wandsbeker Chaussee abgespielt hatte. Bei Nummer zwei angelangt,stieg er aus und hielt ihr den Wagenschlag offen. »Nicht«, lehnte sie ab und blieb sitzen. »Doch«, bat er, »wie soll ich denn die Marken finden?« Ein paar Atemzüge lang beschaute sie ihn, seinen graden, klaren Blick, ihre feinen Brauen zweiflerisch gehoben, dann löste er ihr die Hand im festen Lederhandschuh vom Volant, sie zog mit der anderen die Gasschlüssel heraus, stieg aus, schloß den Wagen ab und erstieg hinter ihm, von seiner Hand leicht geführt, die schmalen, sauberen Treppen zu Käte Neumeiers verlassener Wohnung. In der Diele schon nahm er sie in die Arme. Sie schüttelte den Kopf. Dann ließ sie den Mantel offen an ihrer Gestalt herunterhängen, er umschlang sie unterhalb des Lodengewebes, wollte ihren Mund nicht mehr loslassen. »Wo ist jetzt Reeder Footh?« fragte er. »Ertrunken«, antwortete sie »es gab keinen solchen.«
    Im Zimmer drin setzte sie ihren leichten Widerstand fort. »Nicht«, seufzte sie, »ich bin doch viel zu müde, solch ein Tag, solch eine Nacht, du hast doch nichts von mir.« – »Genug«, murrte er. Das schöne, bunte Seidenkleid hing unordentlich über Käte Neumeiers Tischchen, sein Abendanzug lag daneben. »Als ich ein kleines Mädchen war, nach Mamas Tod, kroch ich zu Papa ins Bett und weinte mich an seiner Schulter in den Schlaf. Heut hat er eine eigene Frau, nun bin ich überflüssig.« – »Ich als Junge zu meinem Jugendführer«, entgegnete er ruhig; »brauchten viele Umwege zueinander. Das Leben, wie es ist, steht nicht in der Fibel. Wirst du auf mich warten, wenn ich nach B. A. gehe, so nennen sie Buenos Aires?« – »Mitkommen«, lächelte sie, in jedem Augenwinkel eine Träne, und schlief ein. Den Arm um ihre schlanke Hüfte lag er auf dem Rücken, betrachtete die

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