Das Beil von Wandsbek
gelbliche Decke über sich und fühlte sich unendlich glücklich, der Zukunft sicher. Zwanzig Minuten laß ich sie schlafen, dachte er, dann suchen wir die Marken, geben sie bei Lehmkes ab, sausen hinaus. Ich glaube nicht, daß wir hier lange parken dürfen.
Die ganzen letzten Stunden hindurch, diesen erregenden, die Nerven spannenden Frühmorgen, hatte Herr Koldewey damit zu tun gehabt, zwei Worte in den Hintergrund seines Bewußtseins zu drängen. Sie hießen: ein Zeichen. War dies nicht wirklich zumAbergläubischwerden? Brachte ihm diese ja alles erklärende Hochzeiterei den Mann mit dem Beil ins Haus und gleichzeitig die Blumen mit dem Gift. Es war zum Verrücktwerden, falls man irgend dazu neigte. Nun er, Heinrich Koldewey, neigte nicht dazu. Sein verhinderter Trauzeuge, Herr Lintze, mitten im Kriegsspiel befangen, trieb er sich jetzt in Leipzig umher, in Dresden, vielleicht in Wien? Er mußte kommen, er gab das Zeichen. Nicht der Zufall, das Spiel des Beziehungswahns. Und gleichwohl, gleichwohl ... Heute war Feiertag, gehen wir schlafen. Laß dir das Steigen dieser Treppen hier, dieser Stufen, gewohnt werden, Käte, und gut bekommen. Statt eines Rittermantels breit’ ich dir diesen Wunsch vor deine gutgeformten, mittelgroßen Füße. Damit führte Herr Koldewey seine Gattin in ihr gemeinsames Schlafzimmer, dessen Fenster, weit geöffnet, gelblich hell, einen blassen Himmel verriet, hinter dem Nebel vielleicht sogar ein wenig Blau. »Wir haben es doch nicht eilig, Käte«, sagte er, »reife Borsdorfer wie wir.« – »Wahrhaftig nicht«, bestätigte sie. »Irgendwann einmal, wir stehen doch nicht im Kalender. Zeig mir das Badezimmer, dort zieh ich mich aus.« Er seinerseits entkleidete sich vor seinem Schrank, fand sein Nachthemd im Bett, wie gewöhnlich, nur daß es diesmal blaue Kreuzstichmuster schmückten, stellte fest, daß er hier nicht mehr rauchen werde, weder heute noch irgendwann, streckte sich aus, erregt und müde. Ein sonderbares Wesen, dieses Säugetier Mensch, dachte er. All seine Riten, Sitten und Gebräuche. Liegt im Nebel, erwartet ein weibliches, sehr fremd, sehr verwandt, kann seine Vergangenheit überblicken, von der Zukunft so gut wie nichts und handelt immer so, als wäre er ihrer sicher. Was alles wir durchlebt haben, Männer meines Schlages! Wie weit dieser Walter Rohme von mir abgetrieben ist. Wie gingen seine letzten Worte? Er habe Claudias Vermögen in spanischen Aktien angelegt, Rio Tinto Almaden. Dann müsse er ja für Francos Sieg beten. Wo aber bleibt diese neue Käte?
Sie trat ein, mit ratloser Miene, in ihrem fliederfarbenen Bademantel. »Wüßt’ ich nur, wo Annette mein Nachtzeug hingetan hat«, meinte sie. Koldewey setzte sich auf, nahm sein Kinn zwischen die Finger. »Da Annettchen doch ordentlich ist, vielleichthierhin.« Er schlug die Decke des Nebenbetts zurück, da lag das Gesuchte. Blaßblau und blaßbraun gemustert, ein zartes Gewebe. »Ich Esel«, lachte Käte Neumeier und warf aus Versehen den Bademantel ab. Und Heinrich Koldewey sah, daß eine gutgewachsene Frau zwischen vierzig und fünfzig noch immer einen sehr begehrenswerten Körper besitzen kann. »Käte«, rief er.
Sechstes Buch
Seele, der Maulwurf
Erstes Kapitel
Ein Leck
Die Unterelbe, wie jeder mächtige Strom in der Nähe seiner Mündung, gilt als schwieriges Gewässer. Das merken vor allem die Segler und Ruderer, die sich bei günstigen Wetterverhältnissen auf ihr tummeln, jetzt zum Beispiel, Anfang Juli. Hat man nicht genug Erfahrungen auf ihr gesammelt, so merkt man erst zu spät, daß die Strömung, auf der es sich anfangs so angenehm hinglitt, ein tückisches Luder benannt werden darf, weil sie dein gebrechliches Fahrzeug unaufhaltsam in die Nordsee hinausschleußen kann, wenn der Flutwechsel dich überrascht und die Ebbe eintritt. Dann merkst du plötzlich, welch unwiderstehliche Kraft dich ergriffen hat, als du dich dem glatten, gelbgrauen Rücken des Elbewurms anvertrautest, dieser Riesin, welche für kurze Zeit von den Lehrern und Oberlehrern des Dritten Reiches ein deutscher Fluß von der Quelle bis zur Mündung genannt werden durfte. Und du kannst von Glück sagen, wenn dir unterwegs jemand zu Hilfe kommt und dich davor bewahrt, auf die Hochsee hinausgesogen zu werden, die binnen kurzem aus deinem Boot Kleinholz machen und mit dir Fangball spielen wird ... Mag sehr sein, daß du zu spät witterst, was mit dir vorgeht, oder daß du die Bojen nicht richtig gedeutet hast, an denen du
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