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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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fallen, wenn ich weg sein sollte, auf zwanzig Emmchen hier und da soll’s mir nicht ankommen. Ist doch mein alter Gefreiter Teetjen, mit dem ich den Njemen herabgeschwommen bin.« – »Stopp, meine Herren«, sagte Frau Footh, »da sprech ich auch noch ein Wörtchen mit. Da ist eine Dame im Spiel, die ich nicht goutiere.« – »Die arme Stine«, lächelte Herr Vierkant. »Richtig, Lorelei in Straß. Mag aufs platte Land ziehen, wohin sie gehört. Wer zu mir hält, wartet diesen Zeitpunkt ab. Danach eine Monatsrente von zwanzig Mark genehmigt.«
    »Und wer hielte nicht zu Ihnen, Frau Footh«, rief Klaas Vierkant in ehrlichem Enthusiasmus. Inzwischen hatte sich der Gatte den beiden Jüngeren wieder zugewendet und kam mit seinem wiegenden Schritt, den Kapitänen abgeschaut, zu seinem Liegestuhl zurück. »Jetzt zieht er ab, mein Beilschwinger. Kam offenbar mit einem Lieferdreirad in diese Gegend. Ulkiger Geschmack.« – »Eher harte Notwendigkeit«, lächelte Vierkant, eine dicke Zigarette österreichischer Herkunft entzündend. Frau Anneliese schaute einer weißen Wolke zu, die über ihr hoch im Blauen rundliche Formen entwickelte. »Können bald mal ein tüchtiges Gewitter bekommen«, redete sie vor sich hin, »die Mücken sind wie verrückt.« Und sie zog die Beine in den langen weißseidenen Hosen empor auf den Stuhl und warf einen dünnen Gazeschleier über die Füße. »Diese Mittelständler«, träumte sie weiter, »mal waren sie doch nötig.« – »Zum Abwandern nach unten oder nach oben«, stimmte Klaas Vierkant ihren Erwägungen zu. »Ohne sie wär im zwanzigsten Jahrhundert unsere Partei so unmöglich wie im neunzehnten Jahrhundert die Literatur, im achtzehnten die Musik, im siebzehnten der Choralgesang, die Religion. Aber jetzt, im Eingang einer neuen Epoche! Eines neuen Äons, mit George zu sprechen? Sie haben noch gar nicht gemerkt, daß sie lauter zukünftige Aristokraten darstellen, unsere kleinen Leute, daß sie schlechtere Rassen zu kommandieren haben werden, die Teetjen und Konsorten. Adelsgeschlechter im Entstehen, wie unsere Juden die Aristokratien im Abblühen sind – oder waren.« – »Warum waren, Herr Vierkant?« fragte Anneliese voll Lust beim Zuhören, ach war der gescheit! »Abgeblüht,ja, und abgemeldet. Niemand braucht sie mehr, die Braven, wie noch im neunzehnten Jahrhundert – weder ihre Rothschilds und Marx, noch ihre Heine und Börne. Machen wir uns alles jetzt allein. Und arischer und besser, nämlich gründlicher.« – »Ach, darum wandern jetzt so viele ab,« sagte Herr Footh, einen Kognak mit Soda trinkend. Er wäre am liebsten mit Anneliese in den Hafen hinübergefahren, wo »Blühäuglein« vor Anker lag, um auf eigenem Deck den Entschluß zu überprüfen, den man ihm vorhin abgenötigt. Klaas Vierkant, das schmale, gutrassige Gesicht bald Herrn Footh zugewandt, bald seiner Herrin, wie er sie bei sich nannte, dem Reh mit Klauen, spürte, daß er gehen sollte. Er hätte sich gern unten ans Radio gesetzt, den Kurzwellenempfang aus Burgos, New York und London abgehört. »Gott, die Juden«, sagte er und stand auf, die Asche von seinen Hosen klopfend. »Bilden sich noch ein, in Europa daheim zu sein, und wissen noch gar nicht, dumm, wie sie nun mal bleiben, daß sie unsere Vorratskammer für Barzahlungen und Volkszorn bilden. Da wir unsere Kleinbürger enttäuschen müssen wie unsere Vorgänger, die römischen Kaiser, so bieten wir ihnen wenigstens panem et circenses wie diese, Brot und Spiele, nämlich die Israeliten, und enttäuschen müssen wir sie nun mal bei immer engerer Konzentration von Macht, Kapital und Freiheit in immer weniger Händen. Nun gottlob, gibt’s achtzehn Millionen Jüdchen in der Welt, die Hälfte in Griffnähe.«
    »Rechnen Sie Palästina mit dazu?« Damit erinnerte sich Herr Footh an Kapitän Carstanjen und seine Erzählung vom Ladentisch voll Schlächtermessern. »Wie denn nicht?« erwiderte Herr Vierkant. »Alles, was durch Eisenbahn erreichbar ist oder auf dem Weg zum Mossul-Öl liegt, zur Bagdadbahn. Womit ich bitte, mich empfehlen zu dürfen. Und wenn Sie Ihre Güte voll machen wollen, erlauben Sie mir noch ein Viertelstündchen unten an Ihrem Körting zu sitzen. In ein paar Minuten kommt Ankara, allwo unser Herr Papen schaltet und waltet.« – »News von den Unruhen« verstand Frau Anneliese.

Viertes Kapitel
Frau Timme verabschiedet sich
    Indes Albert mit sich kämpfte, ob er als einstiger Hochzeitsgast und Kriegskamerad des Hausherrn sein

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