Das Beil von Wandsbek
sie merkte, daß der Frau Teetjen die Abkürzung nichts besagte. Und da wollte sie noch einmal vorher den Volksgenossen sprechen, ihren beiden Jungen erklären, wie der ausgesehen habe. Aber wenn der Mann zu ihr, Frau Stine, passe, dann werde sie sich’s überlegen, und überhaupt wozu die Phantasie der Kinder vergiften. Mögen die sich denken, der Reichstagsbrandstifter Göring persönlich habe ihrem Vater den lieben Kopf abgeschlagen.
Stine hielt sich noch immer an der Bank fest. Ihr war, als säße sie mit dem ganzen Laden in einer Luftschaukel, einem jener Riesenräder, die Jahrmarktbesucher ungeheuer hoch hinaufdrehten in St. Pauli oder auf dem Hamburger Dom, wobei Stine durchaus und stets schwindlig wurde.
In die Pause hinein, die jetzt entstand, plärrte ein Kind, wahrscheinlich eins von Klempner Drohm. »Wie haben Sie uns nur gefunden?« fragte sie dann schwach, fast hauchend. Frau Timme wiegte den Kopf. »Liebe Nachbarn«, entgegnete sie. »Daß Ihr Mann auch denken konnte, es bleibe verborgen, irgendwas heutzutage. So naiv. Müßte sich eigentlich aufhängen, Ihr Mann, verrät für dreißig Silberlinge seine eigenen Vorkämpfer, Schicksalsgenossen, sich selber. Aufhängen wie Judas Ischarioth«, wiederholte sie, »so’n armer Teufel – was habt Ihr Euch nur dabei gedacht?« wandte sie sich jetzt mit einer Art Angriff unmittelbar in Stines Blick. – »Wir mußten doch sehen, wieder flott zu werden«, verteidigte sich diese.
»Gegen die Hochflut der Warenhäuser – mit einem Beil. Gegen die Vertrustung der Nahrungsmittelbranche, gegen die Konzerns – mit zwei Fäusten.« – »Mein Mann vertraute eben dem Führer, dem unabänderlichen Programm.« – »Jeder, wie er es gelernt hat«, nickte Frau Timme, »zuschlagen, bloß nicht denken, lieber Kopf ab – den eigenen Verteidigern, den Klassengenossen, den Schicksalsgenossen.« Stine strengte ihren Kopf an, um zu verstehen, was die Frau da meinte. Sie rieb sich sogar die Schläfen wie als Schulkind, wenn sie Aufmerksamkeit nötig hatte. Dann glaubte sie verstanden zu haben. »Wir sind aber keine Arbeiter«, begehrtesie auf. »Nein«, nickte Frau Timme, »Ihr habt’s noch nicht einmal gemerkt, Ihr armen Kleinbürger.«
Die Frau meinte es nicht bös, staunte Stine, war sie eine Christin? Das waren doch Rote, Kommunisten! »Jetzt merken wir’s ja«, entfuhr es ihr, »aber jetzt ist’s zu spät.«
Agnes Timme schüttelte den Kopf und ballte ihre kleine, behandschuhte Rechte. »Nie zu spät«, rief sie aus. »Erkennt Eure Lage und Eure Feinde und Euch selbst«, schloß sie, lauter als sie wollte. »Erkennt das Wort! Klassenlage!« Jetzt schüttelte Stine den Kopf. Über das Wort stand alles bei Johannes. »Das Wort war bei Gott«, sagte sie auf wie ein Schulkind, aber sie fühlte es auch mit der ganzen Inbrunst eines Kindes. »Und Gott war das Wort, und das Wort ward Fleisch und wohnete in unserer Mitte.« Und da lächelte Agnes Timme, indes ihre Augen traurig blickten, als sagten sie: arme Stine. »Aber die Finsternis hat’s nicht begriffen – geht’s nicht so weiter? Wie Ihr einem leid tun könnt, das ahnt Ihr gar nicht.« Stine verstand nicht, was sie meinte. In ihren Ohren klang jeder Satz des Evangeliums in die Drohung aus: Wer Menschenblut vergießt ... »Hab ich meinem Manne bald gesagt. Wir müssen uns bei Ihnen ja so entschuldigen.« Da zog Agnes Timme ein Taschentuch und trocknete sich die Augen. Dann, eine Falte zwischen den Brauen, erwiderte sie: »Warum entschuldigen, wir haben uns ja nicht gekannt, es war ja nicht persönlich gemeint.« – »Aber dennoch«, sagte Stine und wollte ihr die Hand hinstrecken, traute sich’s aber nicht. »Mein Mann und seine Kameraden«, damit erhob sich Frau Timme, »die stehen wieder auf. Wir sind als Klasse auf dem Vormarsch, nicht zu schlagen. Wir haben die meisten Kinder, das ewige Leben diesseits, und meine sind in der USSR. Und im Diesseits kann man umherreisen«, schloß sie mit einem Anflug von Scherz und steckte das weißgepackte Würstchen unter ihre Pelerine. Hier aber fühlte sich Stine an einem Nerv berührt: »Wer auf’s Diesseits setzt«, rief sie, »der hat verspielt. Unser ist das wahre ewige Leben, in das wir eingehen, wie Pastor Langhammer durch die enge, ängstliche Pforte.« Aber die Besucherin drückte sich den Hut fester aufs Haar und schüttelte dabei den Kopf. »Und alles wegen der Profite«, äußerte sie resigniert. »Damit die Schlote noch stärker rauchen an der Ruhr,damit
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