Das Beil von Wandsbek
die Herren Generäle, die Herren im Haus, alles haben, was man so braucht heutzutage. Armes betrogenes Volk«, seufzte sie auf und nestelte in ihrer schwarzledernen Handtasche, »arme deutsche Kreaturen.« Stine fühlte, daß sich die Frau verabschiedete, und wollte ihr gern noch etwas Liebes sagen. »Für Sie ist’s aber gut, wenn drüben jemand für Sie sorgt.« – »Jemand, ja, der zweite Fünfjahresplan, hundertsiebzig Millionen, fast ein Sechstel der Erde.« – »Wir haben hier unsere Erde«, antwortete Stine und dachte dabei an Alberts Wünschelrute und die unterirdischen Wasserläufe, die bald hier, bald dort durchbrachen. »Unser Weg geht woanders hin. Sie aber, Frau Timme, fahren Sie mit Gott.« – »Sie auch, Frau Teetjen«, entgegnete Frau Timme und trat an den Ladentisch, »wenn Ihr lieber Gott man denen verzeiht, die das über unser armes Volk gebracht haben. Das Dritte und letzte Reich.« Schade, dachten beide Frauen, daß wir uns jetzt erst kennenlernen, schade, daß die andere so verrannt ist. Und damit wandte sich Frau Timme zur Tür, aber da verdunkelte ein Umriß das Glas der Tür, breite Schultern, ein Mann trat ein. Stine schrak auf, sie freute sich wie stets, wenn Albert heimkam, aber sie wußte nicht, ob sie sich diesmal freuen durfte. »Das ist mein Mann«, stellte sie vor, »hier ist nämlich Frau Agnes Timme gekommen, sich zu verabschieden.« Agnes Timme betrachtete den Mann, der sich zum Werkzeug hergegeben hatte, ihren Friedel umzubringen, den feinen Menschen, den Merzenich, den Schröder. Ein ganz durchschnittlicher Junge, dachte sie, gleichwohl einen Schmerz in der Herzgegend empfindend, auf den sie nicht vorbereitet gewesen, und eine Art Empörung, den Kerl bei den Ohren zu nehmen und tüchtig zu schütteln.
Dem Albert wollte schon die Hand hochfliegen zum Hitlergruß – dann aber ließ er es sein und versuchte eine linkische Verbeugung. »Ich muß ja aufs Schiff«, sagte sie, »nach meinem Gepäck schauen, um halb sieben Abendbrot, meine Absicht war ja nur ... ist ja erfüllt. Ich wollt Sie meinen Jungen beschreiben, wenn sie mal später nach Hamburg kommen, das Grab ihres Vaters sehen, zu Besuch. Wenn der Hitler nicht vorher seinen Krieg macht und ihr alle in Klump gehauen werdet von den russischen Bombern.« – »Nanu«, sagte Albert Teetjen, beherrschte sich aber undlächelte der Frau in die verteufelten, grauen Augen. »Wir sind dann nicht mehr da«, sagte er, »wir gehen nach Spanien.« – »Nach Spanien«, rief Agnes Timme, ihre rechte Faust fuhr grüßend in die Höhe – sie grüßte Rotfront. »Sie haben was gut zu machen, Herr Teetjen«, rief sie. »Aber Sie haben auch was gelernt. Sie mit Ihren Erfahrungen jetzt, Sie werden schon richtig liegen!« Albert Teetjen dachte, die kleine Schachtel spinnt, aber voll Gemütlichkeit nickte er ihr zu: »A. Teetjen liegt immer richtig.« – »Na«, protestierte Agnes Timme und wandte sich zur Tür, »Sie haben verdammt was gutzumachen, Herr Teetjen. Lassen Sie sich’s nur sagen. An allen Werktätigen, einer ganzen Klasse. Eine ganze Klasse schaut auf Sie. Ja, gehen Sie nach Spanien, und damit Sie sehen, daß ich Sie recht verstehe, hier, nehmen Sie Ihr Photo, zurück kann ich nicht sagen, ich wollte meinen Kindern den Henker ihres Vaters mitnehmen, aber der hängt dort«, und sie wies mit ihrem linken Arm auf das hübsche und harmlose Bildnis Adolf Hitlers mit dem großen, etwas plumpen Ohr und den kurzgeschorenen Haaren über dem flachen Hinterkopf. »Und auch dem sein Grab ist schon gegraben.« Stine griff nach dem Bildchen, das Albert darstellte, wie er das Dreirad auseinandernahm und gerade die Backen aufblies – kein sehr günstiges, aber ein lustiges Bild. Albert beugte sich darüber: »Wo haben Sie denn das her?« – »Freundliche Nachbarn«, rief Frau Timme. »Mit dem Einser komm ich doch zum Bahnhof, nicht wahr? Rotfront, Genosse Teetjen. Reihen Sie sich ein.« Und sie zog die Tür hinter sich zu und verschwand zur Haltestelle der Elektrischen. Albert schaute ihr nach, saß auf dem Hocker und schüttelte den Kopf, das Bildchen in der hohlen Hand. »Rotfront«, wiederholte er, »Genosse Teetjen. Werden einen noch ganz verrückt machen mit ihrem Theater. Aber nach Spanien, das wird uns wohl blühen. Der Footh hat sich nicht sprechen lassen, der einzige Mensch, an den ich noch glaubte. Ich weiß nicht, Stine, wer ist nun verrückt; die Welt oder wir?«
Daß diese Frau Timme so verrückt sein konnte, von ihm, Albert
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