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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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»Die mag mich nicht«, urteilte sie. »Vielleicht hat mich der Footh zu freundlich angesehen. Und auf alle Fälle: alles Alte soll weg.« Albert, in weiten Leinenhosen und einem verschossenen graublauen Hemd, schnallte sich den Leibriemen um. »Kannst recht haben«, bestätigte er geschmeichelt. »Meine gescheite Deern. Na, da wird man mal auf alle Fälle zum übernächsten Ersten die Wohnung kündigen, den Laden, die ganze Ausstattung. Nah am Hauptbahnhof will die Epa ein großes Büffet einrichten, mit allem Drum und Dran. Unsere Gesellschaft wird froh sein, da kann sie ihr gleich unseren ganzen Kram anhängen. Dann brauchen wir vom 1. 9. ab keine Miete mehr zu zahlen. Will’s aber so einrichten, daß wir erst am 15. räumen. Muß ja doch alles gründlich renoviert werden. Unterm Schrank sind die Dielen sicher durch.« – »Haben wir auch noch genug auf Konto?« fragte Stine ängstlich. »Dafür reicht’s«, beruhigte er sie. »Kannst ja nachrechnen.« – »Wie lange wohnen wir schon hier drinnen?« – »Aus dem Kriege bin ich schon hierher zurückgekommen. Weiß nicht mehr genau, wann Vater hier einzog.« – »Plauts wohnen in der Grindelallee an die dreißig Jahre, und nun müssen sie auch weg. Hat mir ein gutes Schlafmittel gegeben, die gnä’ Frau.« – »Sag nicht gnä’ Frau«, meinte er, »sind doch bloß Juden.« – »Ja«, fragte Stine, »wir auch? Weil wir doch auch raus müssen.« – »Richtig«, rief Albert überrascht und trat vor das Hitlerbild. »Hast du uns nun angeschmiert oder bist du selber reingelegtworden?« fragte er das Profil mit dem etwas plumpen Ohr, dem flachen Hinterkopf. »Allenfalls wird man mal eine kleine Veränderung vornehmen«, sagte er, »den alten Besitzer wieder in seinen Rahmen setzen«, und er reckte sich auf die Zehenspitzen und legte das überglaste Bildnis vor sich auf den Tisch. »Da war früher der Großvater drin, und der soll nun auch wieder rein. Für die letzten fünf Wochen.« – »Und was dann?« fragte Stine. Albert zog die Brauen hoch und wiegte den Kopf hin und her. »Wenn’s mit Großvater nicht mehr halten wird, weil der Führer die Nägelchen ausgeweitet hat, klemm ich dort die Pappe hinter«, und er deutete auf das Schild an der Glastür »Komme in zehn Minuten wieder«. »Und über uns red ich mit Ahlsen. War für ihn Platz, dann fin’t sich für uns wohl auch noch was auf solch einer ›Eleonora Kröger‹ oder ›Fiete Karsten‹ oder ›St. Louis‹. Müssen wir eben aus der Wagnerstraße weg und aus Hamburg ...« – »Ich weiß, wo Spanien liegt«, sagte Stine, ohne nähere Erklärung, und ging in die Küche, damit dort nichts anbrenne.
    Als der Großvater wieder oben hing und mit seinem feinen Mund und spöttischem Blick den Enkel zu mustern schien, schüttete dieser Fräulein Petersens Tüte auf ein altes Zeitungsblatt, breitete einen Bogen alten Packpapiers daneben und begann sich seinen Tabak zurechtzumischen. Zigarettenreste und Zigarrenstummeln waren beide verascht und angekohlt; die ersteren mit der Spitze des Messers aufgeschlitzt, wurden vom Papier befreit, die anderen mit der großen, alten Schere in ringliche Scheibchen zerschnitten, das Ganze aber gemischt und in eine alte Tonschüssel getan, in der sich alsbald mittels Wasser eine bräunliche Suppe bildete. Stummel, dachte Albert vor sich hin, indem er zum Großvater hinaufschielte, jetzt sind wir selbst so ein Stummel, alter Mann. Teetjens sollen in die Wurstmaschine, wenn man so will. Der Footh wächst als kleiner Fuß einem großen Riesen an, und für solche haben wir ja wohl die Weimarer Republik umgelegt. Ein kleiner Unterschied soll aber sein, fuhr er fort, indes er durch ein Stückchen Gardine die dunkelbraune Brühe ablaufen ließ, den Tabaksklumpen ausdrückte und dann zum Trocknen auf dem Packpapier wieder ausbreitete, mir soll der Stummeltabak hierschmecken, ich aber will keinem schmecken. Ich laß mich nicht zerhacken und unter die Arbeiter mischen und von den Rüstungswerken in ihre Pfeife stopfen. Stine und ich, wir gehen beiseite, haben früher doch so munter »Deutschland erwache!« geschrien, können jetzt ja das Signal zum Schlafengehen blasen, Großvater, meint ihr nicht? Und dann trug er das Papier mit dem auseinandergebröselten Tabak zu demjenigen seiner Fensterbretter, auf welchem die breiteste Sonne lag, steil und warm, ehe sie hinterm anderen Hausdach verschwand, schützte es durch sein breit hingelegtes Messer vor dem Fortfliegen und ruhte ein

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