Das Beil von Wandsbek
suchend, in den schon nächtlichen Stadtpark hinüberging, gestand er ihr, sich’s doch leichter vorgestellt zu haben, die Schuld bei den Lehmkes loszuwerden. Der Nordrand des Himmels war noch immer türkisfarben durchleuchtet, von der fernen Mitternachtssonne angestrahlt, deren sich die Polgegenden noch für ein paar Wochen erfreuten. Als sie weggingen, hatte vom Dach her Tom Barfeys Ziehharmonika eine sehnsüchtige, traurigsüße Weise heruntermusiziert, das Lied vom Lindenbaum am Brunnen vor dem Tore. Und Stine, in Alberts Arm eingehängt, hatte ihm berichtet, wie anständig sich der Tom gezeigt. »Soll er das Ding nur behalten«, paffte Albert neben seiner Pfeife heraus, »was würd beim Verkauf schon herausschauen. Freilich vielleicht könnten wir uns den Luxus nicht leisten.« Und dann saßen sie unter einem großen, dunklen Baum auf einer der Bänke, von der gerade ein Liebespaar aufstand, um nach Hause zu gehen. »Die gehen nun miteinander schlafen«, meinte Albert halblaut, »und wann wir?« Stine begriff aber, daß er etwas ganz anderes meinte, lehnte sich an seine Schulter und flüsterte: »Noch nicht, wir könnten ja noch was versuchen.« Und sie spürte, daß er statt jeder Antwort die Achseln hob und wieder fallen ließ. »Bei deinen Leuten unterkriechen?« fragte er nach einigen Minuten, »hätte ja doch nur für ’ne Woche Sinn.« – »Höchstens«, erwiderte Stine. Sie blickte über sich durch das dichte Geäst und Laubwerk des Nußbaums, unter welchem sie saßen, nach den schwachen Sternen aus, die dort im Dunkeln hingen, ob vielleicht einer glückverheißend herunterfiel. Aber die klebten fest da oben, dachten gar nicht dran, sich in Sternschnuppen zu verwandeln. Die Stadt mit ihren Geräuschen und Autos brauste aus einer fernen Helle über den Dächern mit dem Nachtwind herüber. Die Großmutter hatte ihnen ja den Weg nach unten gewiesen,den Durchgang ins Innere. Manchen Leuten war es erlaubt, Dinge zu tun wie Albert im vorigen Herbst und dabei zu gedeihen. Anderen wieder nicht. Die mußten schon auf Erden solche Irrwege abbüßen. Dafür würde ihr ewiges Teil gerettet, irgendwann einmal nahm sie das himmlische Jerusalem dann dennoch auf. »Mußt mir aber versprechen, Albert«, flüsterte sie nach einer langen Weile, »mich nicht zu überraschen. Nicht von rückwärts plötzlich oder so. Werd dir schon sagen, wann ich mich bereit fühle.« Albert mußte einen Augenblick aufhören zu atmen, so deutlich hatte er eben an seine Pistole gedacht, sie in seiner Schublade liegen sehen, den braunen Griff, der das Magazin voll Patronen enthielt, und das Korn vorn am Lauf aus blauem Stahl. »Der August hat ja erst angefangen«, damit legte er beruhigend seine Hand auf die ihre und auf ihr Knie. Vom Turm her schlug es halb – halb zehn, halb elf, halb zwölf, wer wußte es. Wenn er seine silberne Uhr verkaufte, nebst der Kette, an der er sie trug, gab es sicher wieder fünf Mark. Aber es war noch nicht so weit. Das Dreirad, wie er es jetzt hergerichtet, brachte sicher zwanzig; er kannte schon einen Kollegen, der es ihm gegen bar gern abnähme. Spaziergänger schlenderten vorüber, einer nahm neben ihnen Platz, rauchte eine Zigarette und wanderte dann weiter, vielleicht um nicht zu stören. Es war aber diese Bank die gleiche, auf welcher vor mehr als einem Jahr Oberstleutnant Lintze mit Käthe Neumeier geplaudert hatte. »Wüßte nur gerne«, meinte Albert nach einer Weile, »warum ich nicht daran denke, lieber die da drüben umzulegen mit der Pistole – «, er sagte Pistole, um den scherzhaften Charakter seiner Äußerung zu unterstreichen – »in den ›Braven Panzer‹ hinüberzugehen und so’n kleines Gespräch unter Freunden zu führen, wo sie dann ein paar Herrschaften hinaustragen müßten und auch ’ne Dame und dann erst mich.« – »Weil du kein Mörder bist«, rief Stine mit leiser Stimme, aber deutlich entsetzt. »Nu ja«, erwiderte er, »sagst du, aber warum hab ich dann so zugeschlagen voriges Jahr?« – »Weil’s dein Führer gewollt hat«, entgegnete sie überzeugt. Er nickte, entzündete seine Pfeife, blickte ihr dabei in das schmerzliche Gesicht, die nachtgroßen Augen. »Aber warum braucht unsereins einen Führer?« – »Weil sie’s alle geschrien haben«, und Stine griff nach seinerRechten, »und weil du’s so gelernt hast, einem Führer zu folgen.« – »Ja«, nickte er und seufzte. »Das weiß Gott. Immer folgen. Erst dem Vater und dann war da noch der Großvater, nicht
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