Das Beil von Wandsbek
wenig, wie er dachte, bevor die Mohrrüben und Kartoffeln kamen, die er mitgebracht. Er schlief aber ein und träumte eine Geschichte mit eitel Mord und Todschlag an den Feldwebeln seiner alten Schreibstube, dem Unteroffizier Ruckstuhl und dem Unteroffizier Footh. Als Stine nach ihm schauen kam, weil das Essen längst fertig war, saß er aufrecht im Bett, rieb sich die Augen, kaute seinen Schnurrbart, stellte sich dann barfuß auf die warmen Dielen, beschloß, sich Wasser über den Kopf laufen zu lassen und sich oder Stine dabei zu fragen, ob ihm niemand sagen könne, warum er diese ganze Sache hinnehme, ohne einem von den Kerlen an die Gurgel zu fahren, dem Vierkant oder Preester. Stine, als sie sich niedersetzten, gestand, sie fürchte sich bloß vor den Lehmkes. »Laß die man bloß ihre Finger krumm machen«, sagte Albert, ein Stück von der Schlackwurst abschneidend, der großen, geräucherten, »dann setzt’s was.« – »Ach, Albert«, sagte Stine, indem sie zögernd ihren Anteil an der Wurst annahm und auf die Gabel spießte, »soll uns zu guter Letzt noch die Polizei am Schlafittchen kriegen? Wo wir doch unser Register blank und rein gehalten haben, so daß sie uns auf der Wache gar nicht kennen?« – »Das laß nur meine Sache sein«, antwortete er, »war eben unsere Dummheit. Reichte aus für heute und morgen. Hätte die Timme verhaften lassen sollen, als sie hier ihren Blödsinn auspackte, ich könnte die Front wechseln, hin zu den Republikanern.« – »Ach laß man sein«, begütigte sie, »die Frau war nicht die schlimmste.«
Am Nachmittag, indes Albert mit dem Lieferwagen nach dem Exerzierplatz hinüberfuhr, um zu üben und dabei zu erfahren, wieer an Herrn Oberstleutnant Lintze schreiben könnte – er wollte ihn aber fragen, ob er und seine Frau nicht aus der Mannschaftsküche verpflegt werden könnten, falls sie sonst nicht mehr aus und ein wußten – an diesem Nachmittag zog sich Stine einen blauverwaschenen Overall über ihr Unterzeug und stieg zu Tom Barfey hinauf aufs Dach. Dieser Überziehanzug stammte von einem ehemaligen Lehrjungen und Junggehilfen, und sie legte ihn an, weil jetzt durch das Treppenhaus ein starker Aufwind fegte, der die Kleider flattern ließ, wenn man die Leiter emporstieg und die Hände festhatte. Außerdem war es Tom Barfeys wegen gescheiter, als Junge aufzutreten und sich besser verteidigen zu können. Sie wollte ihn nur um etwas Papier bitten, einen Brief an ihre Schwester aufzusetzen, dann ins Reine zu schreiben und ihn dem Tom zu übergeben, damit er ihn der Else schicke, falls ihr, Stine, etwas Überraschendes zustieß. Toms helle, dreiste Augen verschlangen den schlanken Jungen, der da oben vor ihm stand, als er sich auf seinem Wägelchen an die Luke rollte. »Stine!« rief er, »unsereins wußte schon kaum mehr, daß Ihr noch da seid.« Dann saßen sie im warmen Mittagswind auf zwei Säcken voll alter Zeitungen, platten Matratzen, und berichteten einander, was sich inzwischen ereignet: daß Frau Pastor Langhammer die Erlaubnis verweigert worden war, in Amerika und England Vorträge über die deutsche Glaubensbewegung zu halten, daß aber Teetjens von allen Leuten des Viertels boykottiert würden, so daß nicht einmal mehr die Kinder der Wagnerstraße vor ihrer Tür spielten, was doch störend genug gewesen. Daß sie früher oder später also würden wegziehen müssen, und daß sie keine Ahnung hätten, wer ihnen das angetan. Na, dein Albert, dachte Tom bissig, fühlte aber gleichzeitig ein echtes, wildes Weh in seinem Herzen: Stines Nähe verlieren! Würde er sich so ins eigene Fleisch geschlagen haben? »Stine«, rief er halblaut und griff nach ihrem Fuß, dem Knöchel, den sie ihm sogleich entzog. »Stine, du bleibst doch in der Nähe. Du machst doch nicht weg von hier, du nicht, dir vermittelt doch die Drohm soviel Arbeit, wie du nur willst.« (Die Frau des Klempners Drohm hatte vor dem Verbot des doppelten Verdienstes eine gesuchte und erfolgreiche Stellenvermittlung für Hauspersonal betrieben und fuhr unter der Oberflächedamit augenscheinlich fort.) – »Bei Lehmkes, nicht?« erwiderte Stine spöttisch, »die mir für zweihundert Mark mein Schlafzimmer abknöpfen wollen, wenn Albert das Geld nicht noch auftreibt.« Tränen schossen in Toms Augen, er preßte sie mit den Fäusten zurück, ruderte wortlos in die Wohnung, kam mit Alberts Ziehharmonika zurück. »Nimm sie mit«, bat er heftig, »macht sie zu Geld, sie gehört euch doch.« – »Die wird das
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