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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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auf die Fährte zu setzen. Ja, Deern, sagte er vor sich hin, nu is das wohl soweit, nu mußt du runter in den Schlick. Arne Saknussen hatte einen besseren Eingang für seinen Weg ins Innere, aber man kann sich das ja nicht aussuchen. Meine Rute nehme ich jedenfalls mit, steckt im Stiefelschaft. Was mein Findebuch ohne den Teetjen wert ist – der Herr Oberstleutnant wird sich das schon selbst ausrechnen. Damit schloß er die Umzäunung wieder hinter sich und fand sich nun ausweglos vor seinen letzten Verrichtungen. Sie wurden ihm so schwer, daß er kaum seine Glieder dafür in Bewegung setzen konnte. Die Flut hatte den Wasserstand stark in die Höhe gepreßt, unten spiegelten sich die Sterne, da ist der Wagen, der Große Bär, senkrecht über Alberts Kopf mußte er stehen. Wie er Stine hinunterbringen soll, erscheint ihm eine bittere Aufgabe. Er möchte sie am liebsten hinunterlassen, damit sie nicht aufklatscht, nicht erschrickt vor dem kalten Wasser, sich wehtut wie bei einem ungeschickten Sprung, aber sie ist viel zu schwer, er kann nicht hinunterklettern und sie dabei im Arm halten. Aber vielleicht hält das Laken ihr Gewicht aus. Es stammt noch von seiner Mutter, prima Flachs. Sollte er noch einmal ihr Gesicht sehen, ihre schönen Haare? Alles Unsinn. Der Adolf hatte ihn zum Kehricht geworfen, warum ihn? Keine Ahnung. Alles Quatsch. Rin in die Tunke, Madam. Er schlang das Laken fest um die sitzende Gestalt, hüllte sie drein, drehte es über ihr zu einer Art dickem Strick und ließ sie sacht ins Wasser gleiten, die Rosen zwischen den Knien. Ein wenig plumpste sie doch, aber das vermeide mal. Gleich danach stand der Wasserspiegel wieder still, bildete die Sterne ab, den Großen Wagen.
    Und dann kam das Letzte, schwer genug, ohne den Schnaps wär’s ihm vielleicht überhaupt nicht gelungen. Während er Sprosse für Sprosse hinunterstieg, bis ihm der kalte Wasserschlick um die Waden spülte, sich mit der Linken in der Leiter festhakte, mit der Rechten die Pistole zog und sich einen Schuß durch die Schläfe jagte, sah er, im Aufblitzen und Vergehen, statt der Leitern an den Wänden des Schachtes die vier Geköpften vor sich stehen, noch riesiger und schwärzer als auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Sietrugen ihre Köpfe wieder auf den Schultern, und ihre Mienen sagten: nun sei es genug. Wie eine helle Taube schien Lene Prestow zwischen ihnen emporzuflattern, oder war es Stine? In die Sterne. Alles dies geschah in dem Bruchteil der Sekunde, die ein erschossener Körper braucht, um sich von einer Leitersprosse loszulösen und seitlich ins Wasser zu fallen. Auch über ihm schließt sich die spiegelnde Fläche, den Knall des Schusses hat niemand vernommen. An der Lenkstange der Draisine drüben an einem der Brettersteige baumelt und tanzt das Pappschildchen im Morgenwind: Friedrich Schmidchen, Altona, Wittnerstraße 5.

Viertes Kapitel
Das Beil kehrt zurück
    »Schilbung und Nibelung erwache!« Mit diesem Ausruf, frisch aus Berlin, brachte Oberstleutnant Lintze seine ironische Anerkennung der Schmuckkünste zum Ausdruck, die Lehrer Reitlin und Herr Johannes Wolgast gemeinsam zuwege gebracht. »Da hat doch einer dran gedreht«, staunte auch Käte Neumeier. Und damit stieg sie kopfschüttelnd nach dem Offizier und vor ihrem Gatten Wagnerstraße 17 aus dem Reichswehrwagen, der, neu bereift und lackiert, nichts von den Strapazen verriet, die er möglicherweise hinter sich hatte. Beim Einsteigen hatte Herr Koldewey sich den Mitverschworenen prüfend beschaut, bevor er ihn fragte, ob er sich wieder einigermaßen geketscht (gecatcht) habe, und Lintze hatte wortlos genickt. Aber sein Haar, sein schütteres blondes Schläfenhaar schien Herrn Koldewey von grauen Fäden durchzogen, und seine Augen wiesen noch Spuren jenes flackernden, verschreckten Blickes auf, mit dem er vor ein paar Tagen, gleich nach seiner Rückkehr aus Berlin, Herrn Koldewey aufgesucht hatte, in seinem gläsernen Gehäuse oben auf dem Zuchthaus. Auch Herr Koldewey war an jenem Tage nicht ohne Betroffenheit von seiner Morgenzeitung aufgestanden, um einen kurzen Weg durch den Park zu schlendern, den frühherbstlichen, angegilbten. Das Neuigkeitspapier hatte eine kurze, offenbar amtliche Mitteilung enthalten, nach welcher die Garnison Hamburg und der ganzeWehrkreis 10 für eine Woche Trauer anzulegen hatte. Sein Kommandeur nämlich, der hochverdiente General der Kavallerie, Knochenhauer, war auf dem Artillerieschießplatz Jüterbog einem Unfall erlegen, wie sie

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