Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
Vom Netzwerk:
Reitlin, habe dieses Thema vorgeschlagen, als sich Widerstände erhoben, weil ja möglicherweise Mord und Selbstmord vorlagen; aber der Satz sei heilsam, obwohl vor kurzem Kollegen aus der Ostmark in einer pädagogischen Zeitschrift behauptet hatten, das »nicht« werde vom Bewußtsein der Kinder und Massen übersehen, so daß ein solcher Satz eigentlich die Verewigung von Richten, Strafen und Henken verlange. Hehe, lachte er, was diese Wiener aus ihrer Vergangenheit für Weisheiten mit herumschleppten. »Ulkig«, damit bedankte sich Herr Lintze für die Aufklärung und klopfte mit dem Knöchel auf den Prachtsarg. »Da müssen wir unsern Gegenstand wieder mitnehmen«, meinte er, nickte Tom zu und verließ, von Herrn Lehrer Reitlin hinauskomplimentiert und bis zum Wagen begleitet, mit Herrn und Frau Koldewey den Laden. »Einen Augenblick«, sagte diese, »meine Handschuhe!« und eilte zurück. »Tom«, rief Käte Neumeier, das absichtlich Vergessene ergreifend, »das war nicht gewollt. Wie konnte es dazu kommen?« – »Wildjagd, von Stellingen aus, Frau Doktor«, erwiderte der junge Mann mit einem verbissenen Ernst, ja er knirschte mit den Zähnen wie damals. Dschungelfährten der kapitalistischen Gesellschaft, dachte er, und der Haß in seinen Augen galt auch ihr und ihm selbst. »Ich komm nochmal«, rief Käte schnell. »Wir müssen uns aussprechen. Arme Stine.« – »Wir wohnen jetzt hier unten«, bemerkte Tom statt jeder weiteren Entgegnung. Aber Frau Dr. Koldewey fühlte, als sie die Tür hinter sich schloß, wie wenig ratsam es sei, diesen jungen Mann zum Feinde zu haben.
    Indes der Wagen auf dem Wege nach Fuhlsbüttel die geschmückte Ecke verließ, betrachtete Herr Koldewey aus seinen gelblichen Ziegenaugen, schräg forschend, seine Frau neben ihm in den bequemen Polstern. Sie starrte vor sich hin, schlug mit den Handschuhen gegen das Leder, schien ihm allzutief beeindruckt. Er mußte ihr doch helfen, das Gehörte einzuordnen, die passenden Maßstäbe zu verwenden. Was für eine dichtbevölkerte Kleinbürgergegend sie sich ausgesucht hatte für Geburt und Tod. »In unseren Zeiten, die nur hinschauen, wenn große Schichten der Bevölkerung sich bewegen oder bewegt werden – siehe das neue Rußland –, verlieren Einzelschicksale immer mehran Gewicht. In den USA., las ich vor ein paar Tagen, gingen im Vorjahr durch Autounfälle 40 000 Menschen zugrunde, ob getötet oder bloß schwer verunglückt, ist mir entfallen. Macht einen Tagesdurchschnitt von 110, und da wir nur halb so volkreich sind, dürften wir 55 pro Tag leisten. Verkehrsunfälle; zwei davon sind diese Teetjens.« Käte erriet ihn ganz und gar, blickte ihn dankbar an und entgegnete dann: »Ja, aber für die, denen sie nahestanden, enthielt jeder dieser Unfälle ein Quantum Schicksal – von dem Betroffenen selbst zu schweigen.« – »Da habe ich nun sein Findebuch«, meinte Herr Lintze, vergnügt auf das helle, weiträumige Hamburg blickend mit grünen Plätzen und langen Kais, das sie inzwischen durchsteuerten, und er zuckte die Achseln. Herr Koldewey aber fand das Findebuch beachtenswert – sein Dr. Laberdan werde es willkommen heißen, und Herr Lintze war bereit, es ihm zu überlassen – ohne den Mann hätte es für die Wehrmacht keine Bedeutung. »Der Krieg ist ja nun mal wieder abgeblasen«, warf er hin, »Deutschland hat Schwein gehabt und der Gesegnete an unserer Spitze wieder mal gesiegt.« Er lehnte halbseitwärts auf einem der Mittelsitze, hatte das verpackte Beil auf dem Schoß und trommelte leise auf seinem Blatt. »Das hängen wir jetzt wieder ins Museum«, beschloß Herr Koldewey, »und lassen’s dort auf seine Stunde warten.« – »Hätten Sie nicht Lust und Zeit, bei uns mal eben einen Kleinen zu verlöten?« fragte Frau Käte mit einladendem Lächeln. »Was wir in den letzten sechs Monaten älter geworden sind, Gnädigste«, erwiderte Lintze kopfschüttelnd, »das ist Ihnen an Jugend zugewachsen. Ich würde gern, aber heute kann ich nicht. Wieviel, meinen Sie, hat unsereiner praktisch gelernt und jetzt theoretisch zu durchdringen? Na, auf zehn Minuten komm ich mit.«
    Ein herrlicher September wehte durch den Garten, die rotbebeerten Ebereschen und die offenen Fenster, von überall her, auch aus der Diele, schlug es Mittag, Zeit zum Lunch, und die drei setzten sich nicht erst, um den Kognak hinter die Binde zu gießen, von dem Frau Käte auf gut hamburgisch gesprochen hatte. »So’n Kerl wie der Teetjen wird uns fehlen,

Weitere Kostenlose Bücher