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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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sich von Zeit zu Zeit beim Scharfschießen ereigneten, und der Führer hatte ihn durch ein Staatsbegräbnis geehrt, das vorgestern in Berlin stattgefunden. Herr Koldewey, die Zigarre in den Mundwinkeln oder zwischen den Fingern, hatte an seinen schwarzroten Georginen eine trinkende Hummel beobachtet, sein Herz wieder ruhig schlagen fühlen, den feuchten Morgen eingeatmet, der aus den schon schütteren Wipfeln herunterfiel, und sich gefragt, warum das nicht wirklich ein Unfall sein könne. Wahrscheinlich probten die Artilleristen das verrückteste Teufelszeug aus, um die neuen Panzerschlachten zu gewinnen, und da sollte ja schon mal ein Rohr krepiert oder einem Kommandierenden ein Granatsplitter durch die Hirnschale geflogen sein. Ein Staatsbegräbnis – freilich das weckte Verdacht. Und General Knochenhauer gehörte nun einmal zu dem halben Dutzend eingeweihter höherer Offiziere, das ließ sich nicht leugnen.
    Als ihm Herr Lintze dann in seinem Direktionszimmer gegenübersaß, ergraut und fahl im Gesicht, mit zwinkernden Augen und einem Mündchen, das er zusammenkniff, damit sein Unterkiefer nicht zitterte, war freilich auch ihm ein Schreck in den Atem gefahren. War es ein Unfall und ein Zufall, so kam er jedenfalls jenen Cliquen höchst gelegen, die den genialen Führer zum alleinigen Herrn über Deutschlands Geschicke machen, auch in einen Eroberungskrieg um ausgedehnten Lebensraum schicken wollten. »Ich bring Ihnen nächster Tage das Beil zurück, lieber Koldewey. Damit wird es fürs erste nichts, und ich fürchte, so billig kommen wir nicht davon.« – »Aber sagen Sie nur, um des sogenannten Himmels willen, wie kann denn etwas verpfiffen worden sein, von dem nur halbgare Gedanken in fünf oder sechs Köpfen existierten? Zauberei kommt doch nicht vor, und Gedankenlesen steht doch nicht einmal im Belieben meiner fitesten Kollegen von der Berliner Gestapo-Zentrale.« – »Ja«, entgegnete Lintze, und nun zitterte sein Unterkiefer wirklich, »Sie werden mir nicht übel nehmen, lieber Koldewey, daß ich eine Weile nach dem ersten Schreck selbst an Ihnen gezweifelt habe.«
    Herr Koldewey lächelte nachsichtig, wiegte seinen langen Schädel. »Nichts darf für unmöglich halten«, äußerte er sentenziös, »wer die gefährlichen Pfade der Vorsehung gewählt hat – ich könnte auch sagen, der Ananke.« – »Aber dann erschnüffelte ich die Spur«, fuhr Lintze fort. Und mit anklagendem Kopfnicken berichtete er, sein General habe vor ungefähr zehn Tagen beim ungarischen Gesandten zu Abend gegessen, in kleinem vertrautem Kreise, mit den köstlichsten Tokayer Weinen. Der Herr, seit langem Militärattaché an der Botschaft, bevor er den Gesandtenposten erhielt, sah oft Reichswehrspitzel bei sich, die dem Naziregime kritisch gegenüberstanden. Man hielt ihn für einen der fähigsten Gegner unserer Führerwirtschaft und ihrer Ambitionen – mußten alle die verstiegenen Pläne doch vor allem dem Staate gefährlich werden, den er vertrat, und in welchem ja seit 1919 schon die Macht in festen aristokratischen Händen lag. Freilich hatte der Herr, wie hieß er doch, schon zu den Vertrauten des unglücklichen Herrn von Schleicher gehört, und manche Stimmen hatten nach den Ereignissen des Jahres 34 angedeutet, just dieser Herr stünde möglicherweise auf der Liste der Pensionäre unserer Gestapo nicht zu unterst.
    Da hatte Herr Koldewey seine Brauen zusammengezogen und seine Ziegenaugen scharf auf den gegenüber gerichtet: »Werde ich herausbekommen, lieber Freund, und wenn ich dazu selbst nach Berlin fahren müßte; aber zunächst rühre ich mich nicht; warten können gehört zu den Haupttugenden, die wir den Kaltblütern abzulernen haben. Wußte Ihr General von mir?« – »Aber nein doch«, beteuerte der andere, »nicht mehr als jeder hohe Hamburger Beamte.« – »Gut und schön«, nickte Koldewey und zog mit seiner knochigen Hand einen Strich durch die Luft. »So enden diese Pfade. Dann bringen Sie mir also wirklich das Beil zurück. Nun taugt es fürs Museum, zumal wir ja auch von seinem Schwinger seit Wochen ohne Nachricht sind, jenem Herrn Teetjen, zu dessen Behausung uns am besten meine Frau weist – die übrigens von dieser Episode Knochenhauer nichts zu erfahren braucht.« – »Selbstverständlich«, hatte Herr Lintze zugestimmt, indes er sich von seinem Sitze erhob, steifgliedrig damals, ohne Ruck und Zuck. »Und wann bringen wir das nun fallitte Werkzeugauf sein Warteplätzchen?« – »Morgen, übermorgen,

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