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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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der Decke gehangen. Seine Stine im Overall. Was hielt er denn da zwischen den Fingern? Seinen Gewehrstrick, sorgfältig eingeseift. Dazu hatte er ihn aufgehoben seit dem verflossenen Kriege, daß er mal allem, was er noch auf Erden besaß, das Hälschen abschnürte. Wie war sie bloß auf ihn gekommen, er lag doch unten in der Schublade bei allerlei Kram. Es war still in der Wohnung. Die Wasserleitung tropfte noch. Steh auf und schraub den Hahn fester zu. Eine Schublade der Kommode stand offen, da lag ein Zettel mit Bleistift drin: L.A. Sei nicht böse und komm nach. Und mach, daß sie mit uns keinen Unfug treiben können, wenn wir nicht mehr aufpassen. Du hättest mir ja doch nichts getan. In Finkenwärder sind so große Grablöcher. Auf Wiedersehen, wo Du willst. Deine St.
    Als er diesen Zettel in dem krassen Licht der entschleierten Birne zu Ende studiert hatte, quollen ihm die Tränen aus den Augen, endlich. Er warf sich mit den Armen über den Tisch, drückte die Augen in den Ellbogen, weinte stoßweise, durch die zusammengebissenen Zähne winselnd. Was nutzte ihm jetzt, daß er die große Freude in der Tasche trug, das beschriebene Papier? Wenn er es herausholte, es ihr unter die Augen hielt, vor ihrem Gesicht hinund herwedelte. Sie sah’s nicht mehr. Sie hörte nicht mehr, daß ihr Schlafzimmer jetzt wieder ihr gehörte, daß die Lehmke nichts mehr damit zu tun hatte. Wenn die Leute bloß nicht so voreilig wären, besonders die Weiber. Hätte sie nicht bis zum sechsten September warten können? Mindestens noch eine Woche. Daß sie da saß mit angezogenen Beinen und ganz stumm war – sonderbar. Wo ihre Seele jetzt wohl sein mochte, sicher in der Nähe. Wenn sie mit der machen konnte, was sie wollte, dann war sie nicht weit. Hielt sich an ihn, ihren Mann, ihren Albert. Und wenn dievier Fuhlsbüttler und die Lene Prestow bewiesen, daß irgend was an der Seele dran war, irgend ’ne Strahlung oder Radioaktivität, und wenn die Wünschelrute sogar Krankheiten anzeigen konnte, wie Dr. Laberdan meinte, so besaß der Mensch eben was, das den Tod überdauerte. In den allermeisten Fällen flog es dann später wohl weg, wenn sein ehemaliges Futteral ordnungsgemäß in die Erde gebracht worden war, in die es gehörte. Aber fürs erste blieb es in der Nähe, sonst hätten ja nicht von Fall zu Fall Wiederbelebungen Scheintoter in der Zeitung gestanden.
    Wollte Stine aber nach Finkenwärder, so hatte er noch ein Stück Arbeit zu leisten. Dann mußte er sich vorher stärken, verschiedenes schriftlich erledigen, auf die Draisine beispielsweise Namen und Adresse des neuen Eigentümers kleben, den Scheck in ein Kuvert tun, Herrn Otto Lehmke adressieren, auf seine Rückseite schreiben: Albert Teetjen, Schlächtermeister, und das Datum, 29. 8. 38. Stine hatte ihm ja erzählt, daß sie ihre Schwester von der Barfey benachrichtigen lassen würde für den Fall plötzlicher Abreise, und daß die Schlüssel in Lehrer Reitlins Türspalt gehörten. Er war aber viel zu müde, um jetzt schon loszupesen. Warum sollte er nicht in einer Sofaecke schlafen, Stine in der anderen? So wie sie da saß, ließ sie sich prachtvoll in die Draisine packen. Es kam ja gar nicht mehr darauf an, kam auf nichts mehr an. Das Bild vom Großvater hing da gut. Jetzt ging der hier im Zimmer auf und ab, die Hände auf dem Rücken, und seine Grabstätte war hier im Zimmer, sogar die Traueresche und die Weide hatten Platz drin. Und er und Stine saßen auf der Bank im Nebel.
    Albert erwachte, mitten in der Nacht. Der abnehmende Mond stand über dem Dach, schien in den Hofschacht, gab dem Zimmer dumpfe Helle. Albert begriff sofort, was geschehen war – er hatte nie mit solcher Schärfe und bewußt überblickt, was ihm zu tun jetzt übrigblieb. Er entnahm dem offenstehenden Wäscheschrank ein Laken und deckte es über seine arme, kleine Frau, dann wusch er sich noch einmal, ging in die Küche, stellte alle Reste auf den gescheuerten Tisch, gebratene Scholle, kalte Kartoffeln, saure Milch, und aß ein Abendbrot, wie es sich für einenMann ziemt, der noch ein tüchtiges Stück Arbeit vor sich sieht, einen langen Weg. Während des Kauens und Schluckens ließ er sich vieles durch seinen langsamen Kopf gehen, lauter wenns und hätten wir. Daß sie dem Ahlsen nichts Gutes zugetraut hatten, im Gegenteil. Und so hatte Stine von diesem Besuch sich nichts erwartet, und gerade das war der Fehler gewesen. Und einen Menschen namens Kley hatte es für sie gar nicht gegeben.

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