Das Beil von Wandsbek
ab, fand die Gittertür offen, tat, sein Fangmesser gezogen, ein paar Schritte über den Rasen. Da sieh mal an: lautlos mit gefletschtem Unterkiefer stürzte sich aus dem Schatten der Büsche ein plumper Boxhund auf ihn, eine niedrige, dunkelgestreifte Dogge, die, statt zu bellen, sofort den Kampf mit dem Eindringling aufnahm. Leider kam sie an den Falschen. Albert stieß ihr das Messer unter die Schulter, die linke, kappte das Rosenstämmchen, legte den großen, blaßfarbigen Strauß zu Stines Füßen in den Kasten, schwang sich auf, nahm seinen Weg zwischen die Räder. Im Sattel sitzend, an den Häusern vorüber, die lautlos und entkörperlicht im späten Monde die Straße einfaßten, beschäftigte er sich grimmig grinsend mit der Überraschung, die morgen früh, nein heute vormittag den Besitzer der Villa erwartete: Einbrecher tötet Boxhund, raubt nur ein Rosenbukett gelb oder rosa. Ja, so ein Köter gerät nicht alle Tage an einen Gelernten, und irgend etwas konnten die Reichen zu Stines Beerdigung ja wohl beisteuern.
Über den Weg, den er einzuschlagen hatte, kam ihm kein Zweifel; seit Jugendzeiten hatte er ihn mit dem Fahrrad zurückgelegt, in seinen besten Tagen Stine neben oder hinter sich – ein wenig anders als jetzt. Auf ihren letzten Fahrten vor Pfingsten hatten sie noch lachend festgestellt, diese Elbhochbrücke gereiche auch den Radfahrern zum Vorteil, die Pioniere hatten den Köhlfleet überbrückt und eine Anzahl Stege gelegt, um die verschiedenen Baustellen und Probeschachte miteinander zu verbinden. An einem, der damals im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, waren sie abgestiegen, hatten sich über die Brüstung gebeugt, hineingeschaut. Er war viereckig und ziemlich geräumig, an jeder seiner Wände führte eine Leiter in die Tiefe, kranartige Balkengerüste überbauten ihn: in ihm sollten Versuche an Senkkästen gemacht werden, um künstliche Fundamente zu schaffen, wenn die Natur sie nicht hergab. Die Ausschachtung reichte bis in den Grundwasserspiegel hinein und noch ein gutes Stückdarunter und war schon damals voll Schlick gelaufen, ein Brei aus Sand und Wasser, der unmöglich einem Betonblock die nötige feste Unterlage bot. Und auf irgend etwas Fixem mußte der doch aufsitzen, hatten zwei ältere Arbeiter an jenem Sonntagmorgen sachverständig geklönt. Hättest auch nicht gedacht, Stineken, nickte er ihr zu, als er an der Umzäunung vom Rade stieg, daß du dir deine Grabstätte aussuchtest, als du damals vorschlugst, wir müßten uns doch mal Finkenwärder besehen, in seinem neuen Zustand. Wie sich die Augen der Nacht mit dem flachstehenden Monde angepaßt hatten. Die hölzernen Maste, riesige Fichtenstämme, liefen nach oben schräg zusammen, trugen eine Plattform, ein Gerüst, Haken und Flaschenzug. Eigentlich sollten Wachen patrouillieren, hier konnte mancher manches erben. Aber erstens ging es auf drei, die unbeliebteste Stunde fürs Postenstehen, die Hähne probten schon weiter drüben im Land. Und außerdem war wieder einmal ein großer Erfolg errungen, irgendein Schlag gegen die Franzosen und die Tschechoslowakei, so hatte es schon auf dem Schiff geheißen, und das mußte begossen werden. Wie lange lag das zurück, der gemütliche Schnack auf der »Eleonora Kröger«. Lauf mal schnell nach Wagnerstraße 17 und frag die Taschenuhr, die dort in der Schublade tickt. Der Himmel flimmerte noch samtschwarz voller Sterne.
Jetzt kam das Entsetzlichste daran, aber es mußte ja wohl. Mit kräftigen Zügen seine Kümmelflasche leerend, verschaffte sich Albert noch eine letzte Pause. Für einen Raucher wie ihn wäre es richtig gewesen, sich die Pfeife noch einmal anzustecken, aber er hatte keine Lust dazu. Er klinkte die Holztür auf, die in die Umzäunung führte: sie war nicht verschlossen. Eine schmale Galerie lief innen um den Schacht, die vier Leitern, in der Mitte jeder seiner Wände. Er nahm Stine aus der Lade – noch nie war seine Deern so schwer gewesen, und dabei hatte er sie doch oft genug auf den Armen gehabt. Er setzte sie vorsichtig an einer Leiter ab, legte ihr den Rosenstrauß auf das Laken, das ihre Knie hervortreten ließ, erinnerte sich daran, daß die Draisine nicht mehr ihm gehörte, und daß ein ordentlicher Bürger mit fremdem Eigentum schonsam umgeht. Er ging also noch einmal hinaus, band das vorbereitete Schildchen an die Lenkstange und führtedas Dreirad eine halbe Minute lang weg von der Stelle, wo Stine auf ihn wartete. Man brauchte die Leute doch nicht geradezu
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