Das Beil von Wandsbek
Bedachte man’s recht, so kam das Geld, das die Lehmkes jetzt schluckten, auf gewisse Art doch von Footh und von der Partei, denn sie hatten ja den Dr. Kley zum Erben gemacht und zum Auswanderer. Und so würden sie denn also nach Spanien aufbrechen, Stine und er, und den Weg ins Innere gehen, den Bergmannsweg, den Wünschelrutenweg. Das war gut. Es stimmte. Auf diese Weise wurden die Signale seines Lebens zu Ende geblasen, und zwar richtig, von einem geübten Hornisten, nicht von einem Anfänger aus der Hitlerjugend.
Es war halb eins, als er seine Taschenuhr zum letztenmal zog, sie aus der Weste hakte, in die Schublade legte, zu einem Zettel für Tom Barfey zum Andenken. In der Taschenlampe befand sich noch eine halbwegs brennende Batterie. Er holte die Draisine aus der Remise und fuhr sie bis an seine Entreetür, klappte den Kubus auf, trat mit leisen Schritten zu seinem Sofa und nahm: »Na, komm man, Deern, noch einmal vorm Sterben«, die weißverhüllte Gestalt in seine Arme – mit der Redensart, die während des Krieges Urlauber oder Frischeingezogene gebraucht hatten, um sich Damenbekanntschaften willfährig zu machen. »Wirst nicht mal ’ne Blume haben, Deern«, sagte er, wiederum von Tränen bewegt, »keinen Kranz und keinen Stein. Na, es geht auch so.« Damit schloß er die Türen des Lieferwagens, zog sich den Waffenrock an, schnallte die Pistole um, setzte die Mütze auf, ein SS.-Mann im Dienst, den niemand unterwegs anhalten oder fragen würde, was er nachts um eins durch Hamburg transportierte. Er trat noch einmal auf die Schwelle des Schlafzimmers, sandte einen langen Blick, abschiednehmend, über die von Stine geliebten Gegenstände, das Gefäß so vieler gelebter Jahre, zweier, vielleicht dreier Generationen, dann schloß er alle Türen, wickelte die Schlüssel in eine alte Tüte und steckte sie durch den Spalt,der bei Lehrer Reitlins Parterrewohnung zwischen dem unteren Türrand und den Dielen klaffte. Einem grimmigen Spaß folgend, hatte er vorher in sein Fenster das Schild gestellt »Bin in zehn Minuten zurück«. Auf einem Stück Pappe, das er durchbohrt und mit einer Schnur in der Tasche trug, stand bereits der neue Eigentümer des Gefährts mit deutlicher Tinte vermerkt: Friedrich Schmidchen, Schlächtermeister, Altona, Wittnerstraße 5.
Hamburg lag, Frische atmend und durchweht von beschwingter Luft, unter dem späten Monde. Hier und da strich eine Katze mit aufgestelltem Schweif durch die halblichte Nacht; Albert trampelte seinen Weg. Kaum jemand war auf, obwohl die erleichterte Atmosphäre zum Tummeln einlud. Er vermied die belebten Teile rund um den Hafen, in welchem Feuerwehr und Pioniere die notwendigsten Rettungsarbeiten ausführten, beim Lichte elektrischer Lampen und der voll strahlenden Straßenbeleuchtung. Inzwischen mußte die »Eleonora Kröger« mit dem langsamen Gang, den die Uferbeschaffenheit den Seeschiffen vorschrieb, elbabwärts getrieben sein; der Platz im Hafen lag leer, an welchem sich so Entscheidendes hätte begeben können, wenn seine arme Stine sich nicht wie’n Schaf benommen hätte oder wie’n Kaninchen – und wenn. Dieses Wenn fraß in Alberts Herzen, während er wie ein Mechanismus elbabwärts rollte. Mit seinem Gewehrstrick, während er grade Erfolg hatte, den unvermutetsten auf der Welt. So als hätte es ihm einer nicht gegönnt, weil er es unterließ, den reumütigen und bußfertigen Sünder zu spielen. Was er getan hatte, hatte er getan, er würde es immer wieder tun, bloß besser gesichert gegen stille Feinde und sogenannte Kameraden. Komisch, dachte er, während er an gepflegten Vorgärten vorüberglitt. Wenn einer brüllt, er wolle das Vaterland aus der Patsche ziehn, es groß machen, dann schreie ich Heil und Hurra und laufe ihm zu. Sagte aber einer, er wolle den Werktätigen helfen, zu ihrem Recht zu kommen, schreie ich: »Nieder!« und hau zu, wenn’s sein muß mit dem Beil. Und dabei bin ich selbst ein Werktätiger. So bin ich mal gebaut und war damit ganz einverstanden, und fahr nun in der Lade hinter mir alles zu Grabe, was mir auf Erden lieb war, und mein Geschäft und alles ist zu Bruch gegangen. Und dabei war ich doch wirklich nicht wählerisch inRettungsmitteln. Komisch, nöch? Will einer sich nicht unterkriegen lassen, so geht er vor die Hunde. Er hielt an, um sich mit einem Schluck Köhm zu stärken, dabei fiel sein Blick auf einen Blütenbüschel hochstämmiger Rosen, dicht am Zaun. Aus dem Sitz ließ es sich nicht erreichen. Er stieg
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