Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
Diese können deinen oder Wills Dæmon nicht erkennen, es sei denn, du bringst es ihnen bei.«
    »Ja ... Oh, das ist unglaublich.«
    Mary dachte: Lyra sprach doch mit ihrem Dæmon. Ob sie ihren Vogel auch nicht nur sehen, sondern ebenso hören kann? Voller Erwartung ging sie weiter.
    Vor ihnen war Will dabei, ein Fenster zu schneiden. Die beiden Kinder warteten auf die Frauen, damit der Junge es hinter ihnen wieder verschließen konnte.
    »Wissen Sie, wo wir sind?«, fragte Will.
    Mary schaute sich um. Die Straße, auf der sie sich nun in ihrer Welt befanden, war eine ruhige Allee mit großen viktorianischen Häusern in Gärten, die man mit Ziersträuchern bepflanzt hatte.
    »Irgendwo im nördlichen Teil von Oxford«, antwortete die Wissenschaftlerin. »Tatsächlich nicht weit von meiner Wohnung, obgleich ich nicht genau weiß, auf welcher Straße wir uns hier befinden.«
    »Ich möchte gern in den Botanischen Garten gehen«, sagte Lyra.
    »Gut, das dürfte fünfzehn Minuten zu Fuß von hier sein. Dort entlang ... «
    Mary versuchte wieder, nach Hexenart zu sehen. Diesmal fiel ihr das schon leichter: Plötzlich entdeckte sie die Alpendohle hier in ihrer eigenen Welt, auf einem niedrigen Zweig, der über den Gehweg ragte. Neugierig, was wohl geschehen würde, streckte sie die Hand aus und sogleich sprang der Vogel ohne Zögern darauf. Mary fühlte das leichte Gewicht und den festen Griff der Krallen und setzte ihn behutsam auf ihre Schultern. Er ließ sich dort nieder, als ob das schon ihr ganzes Leben lang sein Platz gewesen wäre.
    Nun, das traf ja wohl auch zu, dachte sie und ging weiter.
    In der High Street herrschte kaum Verkehr, und als sie dann gegenüber Magdalen College die Stufen zum Tor des Botanischen Gartens hinuntergingen, war keine Menschenseele mehr zu sehen. Mary und Serafina setzten sich auf die steinerne Bank innerhalb des verzierten Torbogens, während Will und Lyra über das schmiedeeiserne Gitter in den Garten kletterten. Ihre Dæmonen schlüpften durch die Gitterstäbe und liefen den Kindern voraus.
    »Hier lang«, rief Lyra und zog an Wills Hand.
    Sie führte ihn vorbei an einem See mit Fontäne und bog zwischen Pflanzenrabatten nach links zu einer mächtigen Kiefer ab, deren Stamm sich in mehrere gewaltige Äste auffächerte. Hinter einer Steinmauer mit Durchgang schloss sich der hintere Teil des Gartens an, wo die Bäume jünger und nach weniger strengen Regeln gepflanzt waren. Nachdem sie eine kleine Brücke passiert hatten, kamen sie fast am Ende des Gartens zu einer Bank unter einem Baum mit tiefen, ausladenden Ästen.
    »Ja«, jauchzte sie. »Ich habe so gehofft, diese Stelle zu finden und da ist sie, genau da ... Weißt du, Will, früher bin ich in meinem Oxford immer zu dieser Bank gegangen, wenn ich allein sein wollte, nur ich und Pan. Ich dachte nur, wenn du - vielleicht einmal im Jahr - wenn wir zur selben Zeit hierher kommen könnten für eine Stunde oder so, dann könnten wir so tun, als wären wir uns wieder ganz nahe - denn das wären wir ja, wenn du hier säßest und ich in meiner Welt ebenfalls -«
    »Ja«, sagte er, »so lange ich lebe, werde ich immer wieder hierher zurückkehren, ganz gleich, wo ich sonst in der Welt bin -«
    »Am Johannistag«, schlug sie vor. »Um die Mittagsstunde. So lange ich lebe ... «
    Er konnte plötzlich nichts mehr sehen, ließ aber den heißen Tränen freien Lauf und hielt Lyra fest in seinen Armen.
    »Und wenn wir - später einmal -«, flüsterte sie mit unsicherer Stimme, »- wenn wir jemandem begegnen, den wir mögen, und wenn wir ihn heiraten, dann müssen wir gut zu ihm sein und dürfen nicht ständig Vergleiche ziehen und wünschen, dass wir beide verheiratet wären ... Aber lass uns daran festhalten, einmal im Jahr für eine Stunde hier zusammen zu sein ...«
    Sie hielten sich eng umschlungen. Minuten vergingen. Ein Wasservogel auf dem Fluss unweit von ihnen regte sich und flog auf; hin und wieder fuhr ein Auto über die Magdalen Brücke.
    Schließlich lösten sie sich voneinander.
    »Ach«, sagte Lyra leise.
    Alles an ihr war jetzt sanft. Für Will wurde dieser Augenblick zu einer seiner liebsten Erinnerungen - ihre Anmut, die im Abendlicht noch zärtlicher wirkte, die Sanftheit ihrer Augen, Hände und vor allem ihrer Lippen. Er küsste sie immer wieder, und mit jedem Kuss kam er dem letzten näher.
    Ganz trunken und schwer von Liebe kehrten sie zum Eingang zurück, wo Mary und Serafina auf sie warteten.
    »Lyra -«, sagte Will, und Lyra

Weitere Kostenlose Bücher