Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
sagte: »Will.«
    Er schnitt ein Fenster in die Welt von Cittàgazze. Sie befanden sich im Park der Villa nicht weit entfernt vom Waldrand. Ein letztes Mal stieg er hinein und schaute über die stille Stadt, auf die Ziegeldächer, die im Mondlicht schimmerten, den Turm über ihnen und auf das beleuchtete Schiff, das draußen auf der Reede ankerte.
    Mit so fester Stimme, wie ihm das nur möglich war, sagte er zu der Hexe: »Danke, Serafina Pekkala, dafür, dass du uns damals vom Aussichtspavillon gerettet hast, und für alles andere auch. Bitte, steh auch weiterhin Lyra bei. Ich liebe sie mehr, als jemals ein Mensch einen anderen geliebt hat.«
    Als Antwort küsste ihn die Hexenkönigin auf beide Wangen. Lyra hatte Mary etwas zugeflüstert, dann umarmten auch sie sich. Zuerst stieg Mary, dann Will durch das letzte Fenster zurück in ihre Welt im Schatten der Bäume des Botanischen Gartens.
    Fröhlich statt missmutig zu sein, das beginnt jetzt, versuchte sich Will klarzumachen, doch ebenso gut hätte er versuchen können, einen angreifenden Wolf festzuhalten, der ihm das Gesicht zerkratzen und die Kehle durchbeißen wollte. Doch er schaffte es schließlich und dachte, dass nie mand die Anstrengung sehen konnte, die ihn das kostete.
    Und er wusste, dass Lyra das Gleiche tat und dass die Gezwungenheit in ihrem Lächeln sie verriet.
    Dennoch, auch sie lächelte.
    Sie küssten sich noch ein letztes Mal, rasch und ungeschickt, so dass sie mit den Wangenknochen aneinander stießen und eine Träne aus ihrem Auge an seinem Gesicht haften blieb. Auch ihre beiden Dæmonen gaben sich einen Abschiedskuss, dann huschte Pantalaimon über die Schwelle und flüchtete sich in Lyras Arme. Nun verschloss Will das Fenster, der Durchgang war versiegelt und Lyra nicht mehr zu sehen.
    »Jetzt -«, sagte er mit einer Stimme, die möglichst sachlich klingen sollte, und vermied dabei, Mary anzusehen, »muss ich das Messer zerbrechen.«
    Er spürte mit dem Messer in der Luft nach einem Spalt und versuchte sich vorzustellen, was beim letzten Mal geschehen war. Er hatte damals in der Höhle eine rettende Öffnung schneiden wollen, aber Mrs. Coulter hatte ihn plötzlich und unerwartet an seine Mutter erinnert, worauf das Messer zerbrochen war. Weil es schließlich auf etwas gestoßen war, was es nicht durchtrennen konnte, und das war seine Liebe zu seiner Mutter.
    Also versuchte er nun ein Bild seiner Mutter heraufzubeschwören, wie er sie zuletzt gesehen hatte, als sie verängstigt und verstört in Mrs. Coopers Diele stand. Doch der erhoffte Erfolg stellte sich nicht ein. Das Messer schnitt leicht durch die Luft und öffnete ein Fenster auf eine Welt, wo gerade ein heftiger Regenschauer niederging. Schwere Regentropfen spritzen herein und erschreckten beide. Er verschloss das Fenster wieder und stand eine Weile ratlos da.
    Sein Dæmon aber wusste, was zu tun war, und sagte einfach nur »Lyra«.
    Dass er darauf nicht von selbst gekommen war! Der Junge nickte, und mit dem Messer in der Rechten drückte er mit der Linken die Stelle, wo Lyras Träne immer noch auf seiner Wange lag.
    Diesmal zerbrach das Messer unter lautem Klirren. Die Klinge zersprang in Stücke. Blinkend lagen die einzelnen Stücke auf den noch vom Regen aus einer anderen Welt nassen Steinen.
    Will kniete sich hin und las sie auf und Kirjava mit ihren Katzenaugen half ihm dabei.
    Mary schulterte ihren Rucksack.
    »Tja, Will«, begann sie. »Wir haben bisher wenig miteinander gesprochen, du und ich ... Deshalb kennen wir uns kaum. Aber Serafina Pekkala und ich, wir haben uns ein Versprechen gegeben und gerade vorhin habe ich das mit Lyra auch abgemacht, und selbst wenn ich nie mehr eine solche Zusage geben sollte, so will ich dir doch das Gleiche versprechen: nämlich dass ich, wenn du nichts dagegen hast, deine Freundin sein will, solange wir leben. Wir sind beide allein und ich denke, es fiele uns beiden leichter, wenn ... Was ich sagen will, ist lediglich, dass es niemanden gibt, mit dem wir über unsere Erlebnisse reden können, mit niemandem außer uns ... Und wir müssen uns beide daran gewöhnen, mit unseren Dæmonen zu leben ... Wir stecken beide in Schwierigkeiten, und wenn das kein Grund ist zusammenzuhalten, weiß ich es nicht.«
    »Sie stecken in Schwierigkeiten?«, fragte Will und starrte sie an. Sie schaute mit freundlichen, klugen Augen zurück.
    »Tja, ich habe institutseigene Apparate im Labor kaputtgemacht, ehe ich gegangen bin; ich habe Ausweispapiere gefälscht

Weitere Kostenlose Bücher